Durch wirtschaftliche Abhängigkeiten könnten Verluste des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in der Eurozone bis zu 30 Mal höher sein als die direkten Auswirkungen des Klimawandels vermuten ließen
Der Klimawandel wirkt sich nicht nur auf die Regionen aus, in denen extreme Wetterereignisse auftreten – er hat weitreichende Folgen, die sich über den Globus ausbreiten können. Trotzdem liegt der Fokus häufig auf den direkten physischen Auswirkungen innerhalb einer Region. „So gilt Europa im Allgemeinen als weniger anfällig, weil es über eine hohe Anpassungsfähigkeit verfügt und seltener von schweren Ereignissen wie Dürren heimgesucht wird“, erklärt Andrea Vismara vom Complexity Science Hub (CSH).
In einem kürzlich erschienenen SUERF Policy Brief untersucht Vismara zusammen mit Stephan Fahr und Richard Senner von der Europäischen Zentralbank, wie klimabedingte Katastrophen in einem Teil der Welt erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen in anderen haben können. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die BIP-Verluste in Europa mehr als 10 % betragen könnten – eine Zahl, die fast 15 Mal höher ist als die erwarteten Verluste durch direkte Klimaschocks.
EUROPA IM VERGLEICH
Zu den Ländern mit dem höchsten Risiko zählen mediterrane Länder mit einem hohen direkten Klimarisiko, aber auch Nationen mit umfangreichen Handelsverbindungen und potenziell hohen Verlusten durch importierte Risiken, wie Deutschland und Luxemburg.
„Wenn wir nur die direkten Auswirkungen des Klimawandels wie Wasserstress, physikalische Ereignisse und Hitzestress berücksichtigen, werden die BIP-Verluste in Europa voraussichtlich weniger als 1 % betragen. In Südasien könnten die Verluste jedoch bis zu 15 %, in Zentralasien bis zu 7 % und in Afrika südlich der Sahara bis zu 6 % betragen“, sagt Vismara.
BIS ZU 20% VERLUSTE
Um ein vollständiges Bild dieser potenziellen Verluste zu erhalten, kombinierten die Forscher Input-Output-Daten auf Sektor- und Länderebene – sie betrachteten, wie viel die verschiedenen Sektoren produzieren, wie viel zwischen den Sektoren gehandelt wird und wie hoch die Nachfrage innerhalb jedes Landes ist – und erstellten ein Simulationsmodell. Basierend darauf schätzen sie, dass die durchschnittlichen BIP-Verluste in Europa, unter Annahme des Klimaszenario RCP 8.5 (Anstieg der globalen Mitteltemperatur etwa 4,5 °C bis zum Jahr 2100) und wenn die Abhängigkeiten in der Lieferkette berücksichtigt werden, im allerschlimmsten Fall bis zu 20 % betragen könnten – und damit bis zu 30 Mal höher sein könnten als die direkten Auswirkungen des Klimawandels vermuten ließen.
NADELÖHRE IDENTIFIZIEREN
„Forschung wie diese ist besonders wichtig, da es kritische Schwachstellen im System geben könnte, die man kennen sollte. Zum Beispiel ist die weltweite Produktion von Mikrochips sehr stark in Südasien konzentriert. Wenn es dort zu einer Produktionsunterbrechung kommt, könnten viele Automobilhersteller in Europa, die auf diese Mikrochips angewiesen sind, keine Autos mehr produzieren“, erklärt Vismara. Weniger gehe es darum, exakte Voraussagen zu treffen, sondern vielmehr systemische Abhängigkeiten deutlich zu machen.
Das Verständnis dieser potenziellen Verluste in der Realwirtschaft ist auch entscheidend, um Risiken besser zu bewerten, die auf das Finanzsystem übergreifen könnten. Diese Forschung unterstreicht die Bedeutung, den Klimawandel als eine globale Herausforderung zu betrachten, deren wirtschaftliche Auswirkungen über Grenzen hinausgehen.
Hier finden Sie den SUERF Policy Brief: https://www.suerf.org/publications/suerf-policy-notes-and-briefs/the-globalization-of-climate-change-how-interconnected-economies-amplify-physical-risks/
Über den Complexity Science Hub
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen - Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften - in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen - vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).