Ein wissenschaftliches Team um Thomas Niederkrotenthaler und Hannah Metzler von MedUni Wien und Complexity Science Hub Vienna hat rund sieben Millionen Postings zu den Themen Suizid und Suizidprävention auf Twitter analysiert. Dabei wurde mit Hilfe eines speziell entwickelten Machine Learning-Ansatzes gezeigt, dass Inhalte über die Prävention und Bewältigung von suizidalen Krisen die Anzahl von Kontakten bei Hilfseinrichtungen erhöhen. Somit liefern die Forscher:innen in ihren im Australian & New Zealand Journal of Psychiatry und Journal of Medical Internet Research erschienenen Studien erstmals einen messbaren Nachweis für das Potenzial von Social Media bei der Suizidprävention.
Für die exakte Analyse der 7.150.610 Millionen Tweets, die im Beobachtungszeitraum von zwei Jahren zu den Themen Suizid und Suizidprävention gepostet wurden, nützten die Forscher:innen sogenannte Deep Learning-Modelle.
Mit Hilfe dieser Methode kann im Gegensatz zu den in früheren Studien verwendeten Tools nicht nur das Vorkommen einzelner Worte, sondern auch der Kontext analysiert werden, in dem diese Begriffe verwendet werden. „Da Worte in bestimmten Zusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen haben können, erzielen wir mit dem Deep Learning-Modell wesentlich genauere Ergebnisse“, verdeutlicht Hannah Metzler vom Complexity Science Hub Vienna und Institut für Wissenschaft Komplexer Systeme der MedUni Wien die Besonderheit der speziell für die Forschungen entwickelten Methode.
Weiterer Nachweis für „Papageno-Effekt“
Damit erbrachten die Wissenschafter:innen um Studienleiter Thomas Niederkrotenthaler von der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin einen weiteren messbaren Nachweis für das in der Wissenschaft „Papageno-Effekt“ genannte Phänomen, dass Inhalte mit Informationen zur Suizidprävention die Zahl der Suizide verringern können: „Besonders Tweets über die eigene Bewältigung einer suizidalen Krise weisen ein enormes Potenzial auf, Menschen in ähnlicher Lebenslage dazu zu bringen, in Kontakt mit einer Hilfseinrichtung zu treten“, nennt Thomas Niederkrotenthaler ein wesentliches Detail der Forschungen.
Darüber hinaus zeigt die Studie erneut, dass in Zeiten exzessiver medialer Präsenz des Themas Suizid auf Twitter auch die Zahl der Suizide steigt („Werther-Effekt“): „Gerade wenn im Kontext von aufsehenerregenden Suiziden sehr viel in sozialen Medien gepostet wird, besteht die Gefahr, dass dadurch vulnerable Personen tiefer in die Krise schlittern und es zu einem Anstieg der Suizide kommt“, ruft Thomas Niederkrotenthaler weiterhin zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Thema auf.
Australian & New Zealand Journal of Psychiatry
Association of 7 million+ tweets featuring suicide-related content with daily calls to the Suicide Prevention Lifeline and with suicides, United States, 2016–2018.
Niederkrotenthaler, T., Tran, U. S., Baginski, H., Sinyor, M., Strauss, M. J., Sumner, S. A., Voracek, M., Till, B., Murphy, S., Gonzalez, F., Gould, M., Garcia, D., Draper, J., & Metzler, H.,
Doi: 10.1177/00048674221126649
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/00048674221126649
Journal of Medical Internet Research
Detecting Potentially Harmful and Protective Suicide-related Content on Twitter: Machine Learning Approach.
Metzler, H., Baginski, H., Niederkrotenthaler, T., & Garcia,
Doi: 10.2196/34705
https://www.jmir.org/2022/8/e34705
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