Der erste Tierversuch beweist, was Big-Data-Analysen bereits andeuteten: Hohe Dosen von Statinen erhöhen das Osteoporoserisiko
Forscher:innen des Complexity Science Hub (CSH) und der Medizinischen Universität Wien (MedUni) haben erstmals nachgewiesen, dass hohe Dosen von cholesterinsenkenden Statinen die Knochenqualität bei Mäusen beeinträchtigen. Dieses Ergebnis kam für die Wissenschafter:innen nicht überraschend. Schon im Jahr 2019 hatten sie durch Big-Data-Analysen einen solchen Zusammenhang in der österreichischen Bevölkerung festgestellt.
"Dies ist die erste Studie, die den Zusammenhang zwischen einer hohen Dosis von Statinen und Osteoporose bei Mäusen nachweist", sagt Peter Klimek, Leiter des Datenanalyse-Teams am CSH und einer der Autoren, der im Journal Biomedicine & Pharmacotherapy veröffentlichten Studie. "In Ergänzung zur früheren Querschnittsstudie mit Bevölkerungsdaten, erhöhen unsere Ergebnisse die Wahrscheinlichkeit, dass ähnliche Effekte auch bei Menschen auftreten", fügt Klimek hinzu.
"Die neue Studie bestätigt die Resultate unserer früheren Analyse der österreichischen Bevölkerung im Jahr 2019. In beiden Untersuchungen haben wir festgestellt, dass hohe Dosen von Statinen das Risiko für Osteoporose erhöhen können", so Michael Leutner von der MedUni und Erstautor der Studie, „doch mit dem Tierversuch weisen wir nun auch einen kausalen Zusammenhang nach."
Wie es dazu kam
Die 2019 veröffentlichte Arbeit legte laut Leutner den Grundstein für die neue Studie. Darin wurde erstmals ein dosisabhängiger Zusammenhang zwischen den Cholesterinsenkern und der Osteoporose-Diagnose nachgewiesen. Das Team fand heraus, dass hohe Dosen von Statinen zwar das Risiko für die knochenschädigende Erkrankung erhöhen können, entdeckte aber auch einen schützenden Effekt, wo niedrige Statin-Dosen vorbeugend wirken können. Damals wurde eine Gesundheitsdatenbank mit über 7,9 Millionen Österreicher:innen durchsucht, wobei man 353.502 Statin-Empfänger:innen ermittelte. Bei 11.701 von ihnen wurde Osteoporose diagnostiziert.
In der neuen Studie zielte das Team darauf ab, die Beobachtungsdaten besser zu verstehen und zusätzliche Beweise dafür zu liefern, dass der Mechanismus bei Tieren und Menschen funktioniert. "Resultierend aus der ersten Publikation haben wir ein translationales Projekt gestartet. Es umfasst sowohl eine (laufende) klinische Studie als auch Grundlagenforschung mit Mausmodell und Big-Data-Analyse", erklären Leutner und Alexandra Kautzky-Willer, ebenfalls von der MedUni und Letztautorin der Studie.
Wie es weitergeht
Dieses Mal kombinierten die Forschenden die Mausexperimente mit einer Big-Data-Analyse der österreichischen Bevölkerung. „Unser Ziel war es, zu untersuchen, ob eine fortgesetzte und langfristige Exposition gegenüber hohen Dosen von Statinen bei Mäusen einen ähnlichen Zusammenhang mit Osteoporose aufweist, wie sie beim Menschen beobachtet wurde", sagt Leutner.
Für den Tierversuch wurden insgesamt 39 männliche und 32 weibliche Mäuse (denen die Eierstöcke operativ entfernt wurden) herangezogen. Die Nagetiere wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine erhielt hochdosierte Statine, die andere nicht.
Im Big-Data-Teil des Projekts verwendeten Klimek und seine Kolleg:innen jene Gesundheitsdatenbank mit über 7,9 Millionen Österreicher:innen, die auch in der Studie von 2019 verwendet wurde. Dabei suchten sie nach einer Gruppe von Menschen, die am ehesten mit den Mäusegruppen aus den Experimenten vergleichbar war, so Klimek. Die Wissenschafter:innen fanden 138.666 Männer und 155.055 post-menopausale Frauen, die mindestens ein Jahr lang hochdosierte Statine erhalten hatten. Verglichen wurden sie anschließend mit 415.998 Männern und 465.165 Frauen, welche die cholesterinsenkenden Medikamente nicht eingenommen hatten.
Ergebnisse
Mithilfe eines detaillierten 3D-Bildgebungsverfahrens untersuchten die Forschenden die Knochenqualität der Mäuse. Sie stellten fest, dass eine langfristige hochdosierte Statintherapie sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen ovarektomierten Mäusen nachteilige Auswirkungen auf die Knochen hat. Verschiedene Teile und Merkmale des Knochens, wie Volumen und Dicke, wurden durch das cholesterinsenkende Medikament beeinträchtigt. Bei männlichen Mäusen verringerte sich das Knochenvolumen des trabekulären Oberschenkelknochens (des schwammigartigen und porösen Knochens) um 42 Prozent, bei weiblichen Mäusen dagegen um 34 Prozent.
In der Big-Data-Analyse fanden Klimek und seine Kollegen heraus, dass Menschen, die hochdosierte Statine einnehmen, ein vier- bis sechsmal höheres Risiko haben, an Osteoporose zu erkranken. "Die Ergebnisse stimmen mit den Mausdaten und unserer früheren Analyse von 2019 überein", sagt Klimek.
Mögliche Auswirkungen auf die Behandlung
Klimek und Leutner zufolge liefert die neue Studie Beweise dafür, dass hohe Dosen von Statinen – einem der am häufigsten verschriebenen Medikamente zur Senkung des Cholesterinspiegels – schwerwiegende Nebenwirkungen auf den Knochenstoffwechsel haben und sich auf künftige Behandlungen auswirken können. "Unsere Ergebnisse geben unweigerlich Anlass zur Besorgnis, dass Osteoporose als mögliche Nebenwirkung einer hohen Statin-Dosierung auftreten kann und verlangen nach einer Überwachung des Knochenstoffwechsels bei solchen Patienten", so die Autoren der Studie.
"Bei ärztlichen Untersuchungen sollte deshalb geprüft werden, ob zusätzlich zur hochdosierten Statintherapie eine spezifische Osteoporosetherapie notwendig ist, insbesondere in Hochrisikopopulationen für Osteoporose. Auch die Kalzium- und Vitamin-D-Spiegel sollten bei Patient:innen mit einer Hochdosis-Statin-Therapie regelmäßig kontrolliert werden", erklärt Leutner.
Höchste Priorität
Laut Leutner und Kautzky-Willer müsse die Behandlung hoher Cholesterinwerte oberste Priorität haben. Denn hohe Cholesterinwerte stehen in engem Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und folglich auch mit der Sterblichkeitsrate.
"Ob neuere cholesterinsenkende Medikamente, die nicht zu den Statinen gehören – wie PCSK-9-Hemmer (neuere und wirksamste Medikamente zur Behandlung hoher Cholesterinwerte mit nachgewiesenen kardiovaskulären Vorteilen) – bessere Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel beim Menschen haben, muss jedoch noch gezeigt werden.“ Sollte dies der Fall sein, müsse die Behandlung auf einzelne Personen zugeschnitten sein, insbesondere bei Risikopopulationen für Osteoporose, wie Frauen nach der Menopause, schlagen sie vor.
"Nach unseren Ergebnissen sollten Ärzt:innen auch den Knochenstoffwechsel bei Patient:innen unter hochdosierten Statinen überwachen und gegebenenfalls in Einzelfällen mit einer zusätzlichen knochenschützenden Therapie beginnen“, so Leutner.
Billig, einfach, schnell
Klimek weist außerdem darauf hin, dass diese Arbeiten zeigen, wie wichtig ein translationaler und multidisziplinärer Ansatz in der biomedizinischen Forschung sei. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist mit Big Data konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse über neue, unerwünschte Wirkungen für einige der am häufigsten verschriebenen Medikamente zu gewinnen. Da die Daten bereits gesammelt wurden, können wir dies einfach und kostengünstig tun. Die Datenanalyse dauert nur ein paar Wochen, während Tierversuche und klinische Studien sich teilweise über Jahre erstrecken. Man könnte daher versuchen, die Studie mit Hilfe von Big Data zu reproduzieren, bevor man kostspielige Experimente durchführt - und zwar ohne irgendwelche Eingriffe am Menschen", schlägt Klimek vor.
Diese Forschungsarbeiten zeigen deutlich wie wichtig eine funktionierende Datenlandschaft für die medizinische Forschung ist. “Daten, die im Gesundheitssystem sowieso anfallen, können für die Forschung extrem wertvolle Hinweise zu möglichen Nebenwirkungen und der Wirksamkeit von Behandlungen geben”, ist Klimek überzeugt und fordert in Zukunft eine bessere Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten in Österreich.
Dieses Mal kombinierten die Forschenden die Mausexperimente mit einer Big-Data-Analyse der österreichischen Bevölkerung. „Unser Ziel war es, zu untersuchen, ob eine fortgesetzte und langfristige Exposition gegenüber hohen Dosen von Statinen bei Mäusen einen ähnlichen Zusammenhang mit Osteoporose aufweist, wie sie beim Menschen beobachtet wurde", sagt Leutner.
Für den Tierversuch wurden insgesamt 39 männliche und 32 weibliche Mäuse (denen die Eierstöcke operativ entfernt wurden) herangezogen. Die Nagetiere wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine erhielt hochdosierte Statine, die andere nicht.
Im Big-Data-Teil des Projekts verwendeten Klimek und seine Kolleg:innen jene Gesundheitsdatenbank mit über 7,9 Millionen Österreicher:innen, die auch in der Studie von 2019 verwendet wurde. Dabei suchten sie nach einer Gruppe von Menschen, die am ehesten mit den Mäusegruppen aus den Experimenten vergleichbar war, so Klimek. Die Wissenschafter:innen fanden 138.666 Männer und 155.055 post-menopausale Frauen, die mindestens ein Jahr lang hochdosierte Statine erhalten hatten. Verglichen wurden sie anschließend mit 415.998 Männern und 465.165 Frauen, welche die cholesterinsenkenden Medikamente nicht eingenommen hatten.
Ergebnisse
Mithilfe eines detaillierten 3D-Bildgebungsverfahrens untersuchten die Forschenden die Knochenqualität der Mäuse. Sie stellten fest, dass eine langfristige hochdosierte Statintherapie sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen ovarektomierten Mäusen nachteilige Auswirkungen auf die Knochen hat. Verschiedene Teile und Merkmale des Knochens, wie Volumen und Dicke, wurden durch das cholesterinsenkende Medikament beeinträchtigt. Bei männlichen Mäusen verringerte sich das Knochenvolumen des trabekulären Oberschenkelknochens (des schwammigartigen und porösen Knochens) um 42 Prozent, bei weiblichen Mäusen dagegen um 34 Prozent.
In der Big-Data-Analyse fanden Klimek und seine Kollegen heraus, dass Menschen, die hochdosierte Statine einnehmen, ein vier- bis sechsmal höheres Risiko haben, an Osteoporose zu erkranken. "Die Ergebnisse stimmen mit den Mausdaten und unserer früheren Analyse von 2019 überein", sagt Klimek.
Mögliche Auswirkungen auf die Behandlung
Klimek und Leutner zufolge liefert die neue Studie Beweise dafür, dass hohe Dosen von Statinen – einem der am häufigsten verschriebenen Medikamente zur Senkung des Cholesterinspiegels – schwerwiegende Nebenwirkungen auf den Knochenstoffwechsel haben und sich auf künftige Behandlungen auswirken können. "Unsere Ergebnisse geben unweigerlich Anlass zur Besorgnis, dass Osteoporose als mögliche Nebenwirkung einer hohen Statin-Dosierung auftreten kann und verlangen nach einer Überwachung des Knochenstoffwechsels bei solchen Patienten", so die Autoren der Studie.
"Bei ärztlichen Untersuchungen sollte deshalb geprüft werden, ob zusätzlich zur hochdosierten Statintherapie eine spezifische Osteoporosetherapie notwendig ist, insbesondere in Hochrisikopopulationen für Osteoporose. Auch die Kalzium- und Vitamin-D-Spiegel sollten bei Patient:innen mit einer Hochdosis-Statin-Therapie regelmäßig kontrolliert werden", erklärt Leutner.
Höchste Priorität
Laut Leutner und Kautzky-Willer müsse die Behandlung hoher Cholesterinwerte oberste Priorität haben. Denn hohe Cholesterinwerte stehen in engem Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und folglich auch mit der Sterblichkeitsrate.
"Ob neuere cholesterinsenkende Medikamente, die nicht zu den Statinen gehören – wie PCSK-9-Hemmer (neuere und wirksamste Medikamente zur Behandlung hoher Cholesterinwerte mit nachgewiesenen kardiovaskulären Vorteilen) – bessere Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel beim Menschen haben, muss jedoch noch gezeigt werden.“ Sollte dies der Fall sein, müsse die Behandlung auf einzelne Personen zugeschnitten sein, insbesondere bei Risikopopulationen für Osteoporose, wie Frauen nach der Menopause, schlagen sie vor.
"Nach unseren Ergebnissen sollten Ärzt:innen auch den Knochenstoffwechsel bei Patient:innen unter hochdosierten Statinen überwachen und gegebenenfalls in Einzelfällen mit einer zusätzlichen knochenschützenden Therapie beginnen“, so Leutner.
Billig, einfach, schnell
Klimek weist außerdem darauf hin, dass diese Arbeiten zeigen, wie wichtig ein translationaler und multidisziplinärer Ansatz in der biomedizinischen Forschung sei. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist mit Big Data konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse über neue, unerwünschte Wirkungen für einige der am häufigsten verschriebenen Medikamente zu gewinnen. Da die Daten bereits gesammelt wurden, können wir dies einfach und kostengünstig tun. Die Datenanalyse dauert nur ein paar Wochen, während Tierversuche und klinische Studien sich teilweise über Jahre erstrecken. Man könnte daher versuchen, die Studie mit Hilfe von Big Data zu reproduzieren, bevor man kostspielige Experimente durchführt - und zwar ohne irgendwelche Eingriffe am Menschen", schlägt Klimek vor.
Diese Forschungsarbeiten zeigen deutlich wie wichtig eine funktionierende Datenlandschaft für die medizinische Forschung ist. “Daten, die im Gesundheitssystem sowieso anfallen, können für die Forschung extrem wertvolle Hinweise zu möglichen Nebenwirkungen und der Wirksamkeit von Behandlungen geben”, ist Klimek überzeugt und fordert in Zukunft eine bessere Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten in Österreich.
Die Studie "Simvastatin therapy in higher dosages deteriorates bone quality: consistent evidence from population-wide patient data and interventional mouse studies" wurde kürzlich im Journal Biomedicine & Pharmacotherapy veröffentlicht.
Complexity Science Hub Vienna – Kurzprofil
Der CSH Vienna wurde mit dem Ziel gegründet, Big Data zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. Der CSH bereitet unter anderem große Datensätze systematisch und strategisch so auf, dass Auswirkungen von Entscheidungen in komplexen Situationen vorab getestet und systematisch bewertet werden können. Damit liefert der CSH die Grundlagen für eine evidenzbasierte Politik.
Der CSH Vienna wurde mit dem Ziel gegründet, Big Data zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. Der CSH bereitet unter anderem große Datensätze systematisch und strategisch so auf, dass Auswirkungen von Entscheidungen in komplexen Situationen vorab getestet und systematisch bewertet werden können. Damit liefert der CSH die Grundlagen für eine evidenzbasierte Politik.