Spätestens seit der Pandemie, traten die globalen Wissenslücken über Liefernetzwerke deutlich zutage. Durch das neue Forschungsinstitut ASCII, gegründet vom Complexity Science Hub, der FH OÖ, dem VNL und dem WIFO, sollen diese nun geschlossen werden. Österreich wird dadurch eine internationale Vorreiterrolle einnehmen. ASCII-Direktor und Komplexitätsforscher Peter Klimek dazu im Gespräch - über die Entstehung des ASCII, globale Zusammenhänge und seine persönliche Vision.
Aus welchem Grund wurde das ASCII gegründet? Und warum gerade jetzt?
Peter Klimek: Erstens, um zu frühzeitig erkennen zu können, dass es zu Engpässen in einer Lieferkette kommt und somit noch bevor eine tatsächliche Versorgungsknappheit eintritt.
Zweitens wollen wir diese Wertschöpfungsketten nicht nur resilienter, robuster und sicherer machen, sondern auch eine evidenzbasierte Grundlage für Entscheidungträger:innen bereitstellen und proaktiv aufzeigen, wie wir sie optimal umbauen können, sodass in Zukunft ein nachhaltigeres und effizientes Wirtschaftssystem entsteht.
Zweitens wollen wir diese Wertschöpfungsketten nicht nur resilienter, robuster und sicherer machen, sondern auch eine evidenzbasierte Grundlage für Entscheidungträger:innen bereitstellen und proaktiv aufzeigen, wie wir sie optimal umbauen können, sodass in Zukunft ein nachhaltigeres und effizientes Wirtschaftssystem entsteht.
Könnten Sie das näher erläutern?
Zu erstens: Wir wollen dazu beitragen künftig die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das ASCII ist eine notwendige Konsequenz aus den Erfahrungen der letzten Jahre, wo wir multiple Krisen erlebt haben und deren Auswirkungen auf die Lieferketten und Produktionsnetzwerke deutlich spürten.
Wir konnten sehen, dass Dinge, die wir davor als gegeben gesehen haben, plötzlich nicht mehr funktionierten – zum Beispiel, dass es zu Lebensmittelknappheiten kam, dass Autoteile nicht lieferbar waren und vieles mehr. Wer gerade nach Großbritannien schaut, kann diese Konsequenzen in den Supermärkten unmittelbar sehen. Bislang hat man erst bemerkt, dass es Probleme in den Versorgungsnetzwerken gibt, wenn die Sachen „plötzlich“ nicht mehr verfügbar waren. Es gab kaum Möglichkeiten, eine Knappheit vorherzusehen.
Wir konnten zudem beobachten, dass Lieferketten sehr anfällig sind und enorm weitreichende kaskadierende Effekte haben. Einzelne Ereignisse wie eine Schiffshavarie können beispielsweise zu globalen Störungen in Wirtschaftskreisläufen führen. Wenn in diesen sogenannten „Flaschenhälsen“ der Liefernetzwerke Störungen auftreten, betrifft das in weiterer Folge die Versorgung von sehr vielen Ländern.
Zu zweitens: Viele Zukunftsthemen hängen direkt mit Liefernetzwerken zusammen. Zum Beispiel: Wie schaffen wir es Emissionen zu reduzieren? Wie entsteht ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem? Wie können wir eine klimaneutrale Mobilität garantieren? Wenn wir zum Beispiel vermehrt auf E-Mobilität setzen möchten, müssen wir die Industriestrukturen entsprechend umstellen.
Ein Technologiewechsel bedingt immer, dass sich auch die Produktionsnetzwerke daran anpassen müssen. In vielen Bereichen wissen wir derzeit jedoch noch nicht, wo wir hier an Limitationen stoßen – etwa wie sehr man neue Technologien nach oben skalieren kann, um eine ähnliche Effizienz zu erzielen. Das heißt, würden wir beispielsweise apodiktisch von oben entscheiden, dass es nur noch E-Autos geben soll, würde sich das im Hinblick auf die notwendige Infrastruktur überhaupt ausgehen? Dies sind bislang größtenteils ungelöste Fragen, da wir gar nicht wissen, wie diese Produktionsnetzwerke aktuell im Detail aussehen.
Wir könnten beispielsweise Maßnahmen ergreifen, um in Österreich weniger Emissionen in der Lebensmittelproduktion zu erzeugen. Wenn wir zum Ausgleich aber Lebensmittel importieren und nicht wissen wie diese produziert worden sind, wissen wir auch nicht, was sich in der globalen Bilanz ändert. Deshalb müssen wir zuerst ermitteln, wie diese globalen Kreisläufe funktionieren.
Wir konnten sehen, dass Dinge, die wir davor als gegeben gesehen haben, plötzlich nicht mehr funktionierten – zum Beispiel, dass es zu Lebensmittelknappheiten kam, dass Autoteile nicht lieferbar waren und vieles mehr. Wer gerade nach Großbritannien schaut, kann diese Konsequenzen in den Supermärkten unmittelbar sehen. Bislang hat man erst bemerkt, dass es Probleme in den Versorgungsnetzwerken gibt, wenn die Sachen „plötzlich“ nicht mehr verfügbar waren. Es gab kaum Möglichkeiten, eine Knappheit vorherzusehen.
Wir konnten zudem beobachten, dass Lieferketten sehr anfällig sind und enorm weitreichende kaskadierende Effekte haben. Einzelne Ereignisse wie eine Schiffshavarie können beispielsweise zu globalen Störungen in Wirtschaftskreisläufen führen. Wenn in diesen sogenannten „Flaschenhälsen“ der Liefernetzwerke Störungen auftreten, betrifft das in weiterer Folge die Versorgung von sehr vielen Ländern.
Zu zweitens: Viele Zukunftsthemen hängen direkt mit Liefernetzwerken zusammen. Zum Beispiel: Wie schaffen wir es Emissionen zu reduzieren? Wie entsteht ein nachhaltigeres Wirtschaftssystem? Wie können wir eine klimaneutrale Mobilität garantieren? Wenn wir zum Beispiel vermehrt auf E-Mobilität setzen möchten, müssen wir die Industriestrukturen entsprechend umstellen.
Ein Technologiewechsel bedingt immer, dass sich auch die Produktionsnetzwerke daran anpassen müssen. In vielen Bereichen wissen wir derzeit jedoch noch nicht, wo wir hier an Limitationen stoßen – etwa wie sehr man neue Technologien nach oben skalieren kann, um eine ähnliche Effizienz zu erzielen. Das heißt, würden wir beispielsweise apodiktisch von oben entscheiden, dass es nur noch E-Autos geben soll, würde sich das im Hinblick auf die notwendige Infrastruktur überhaupt ausgehen? Dies sind bislang größtenteils ungelöste Fragen, da wir gar nicht wissen, wie diese Produktionsnetzwerke aktuell im Detail aussehen.
Wir könnten beispielsweise Maßnahmen ergreifen, um in Österreich weniger Emissionen in der Lebensmittelproduktion zu erzeugen. Wenn wir zum Ausgleich aber Lebensmittel importieren und nicht wissen wie diese produziert worden sind, wissen wir auch nicht, was sich in der globalen Bilanz ändert. Deshalb müssen wir zuerst ermitteln, wie diese globalen Kreisläufe funktionieren.
Wie sah die Lieferkettenforschung bislang aus?
Peter Klimek: Ein Großteil der Forschung über Logistik und Lieferketten geschah bislang aus Unternehmensperspektive. Einzelne Unternehmen, die ihre Kundenzahl, Zulieferer, Infrastruktur und Lieferketten optimieren wollen. Auf Systemebene, also wie ein optimales Netzwerk auf globaler Ebene aussieht, dazu gibt es bislang wenige Forschungserkenntnisse. Die Gründe dafür: Einerseits gibt es die Daten dazu gar nicht. Und zweitens wurde bisher häufig aus der Perspektive eines einzelnen Unternehmens geforscht, ohne auf die Makroperspektive einzugehen. Das wollen wir nun am ASCII ändern.
Und was macht das ASCII anders?
Peter Klimek: Die Forschung auf Makroebene braucht einen Mix an Disziplinen, die jetzt am ASCII (Anm.: durch die Gründungsmitglieder Complexity Science Hub, Logistikum der FH OÖ, dem Verein Netzwerk Logistik GmbH (VNL) und WIFO) zusammenarbeiten. Denn wir müssen die Netzwerke und Logistik kennen, wir müssen mit Systemen umgehen können, die sehr komplex und verflochten sind und wir müssen all das in einen wirtschaftspolitischen Kontext setzen können – schließlich erfüllen diese Netzwerke eine ökonomische Funktion.
Die Expertise des Complexity Science Hub auf Datenebene wird dabei eine zentrale Rolle spielen, um aus dieser enormen Menge von Daten evidenzbasierte Erkenntnisse ableiten zu können. Darüber hinaus bringen wir am Complexity Science Hub bereits einen großen Erfahrungsschatz im interdisziplinären Arbeiten mit und sind es gewohnt datengetriebene Ergebnisse in verschiedenen Kontexten so aufbereiten, dass sie als Grundlage für fundierte Entscheidungen dienen können.
Die Expertise des Complexity Science Hub auf Datenebene wird dabei eine zentrale Rolle spielen, um aus dieser enormen Menge von Daten evidenzbasierte Erkenntnisse ableiten zu können. Darüber hinaus bringen wir am Complexity Science Hub bereits einen großen Erfahrungsschatz im interdisziplinären Arbeiten mit und sind es gewohnt datengetriebene Ergebnisse in verschiedenen Kontexten so aufbereiten, dass sie als Grundlage für fundierte Entscheidungen dienen können.
Wieso kam es scheinbar plötzlich zu diesen Lieferkettenausfällen in der letzten Zeit?
Peter Klimek: Viele Expert:innen in den einzelnen Bereichen kannten auch davor die Schwachstellen. Doch einerseits wurden sie durch diese multiplen Krisen erst jetzt ins öffentliche Scheinwerferlicht gerückt. Denn durch die Globalisierung fand in vielen Fällen hauptsächlich eine Konzentrierung der Produktionsprozesse statt, was Liefernetzwerke natürlich anfälliger macht. Wie anfällig, aber tatsächlich, das ist jetzt deutlich geworden.
So wusste man beispielsweise schon seit Jahren, dass es zu einer immer stärkeren Konzentration der Medikamentenproduktion in bestimmte Länder kommt. Schlagend werden diese Dinge allerdings häufig erst, wenn schließlich etwas passiert, wie es in der Pandemie der Fall war.
Andererseits gibt es Expert:innen in bestimmten Feldern, aber ein systematisches Monitoring über eine Vielzahl von Wirtschaftsbereichen und eine gezielte Aufbereitung dieser Informationen fehlt.
So wusste man beispielsweise schon seit Jahren, dass es zu einer immer stärkeren Konzentration der Medikamentenproduktion in bestimmte Länder kommt. Schlagend werden diese Dinge allerdings häufig erst, wenn schließlich etwas passiert, wie es in der Pandemie der Fall war.
Andererseits gibt es Expert:innen in bestimmten Feldern, aber ein systematisches Monitoring über eine Vielzahl von Wirtschaftsbereichen und eine gezielte Aufbereitung dieser Informationen fehlt.
Was werden die großen Herausforderungen für ASCII sein?
Peter Klimek: Wir müssen die Produktions- und Wertschöpfungsnetzwerke besser kennenlernen. Da es dazu keine vollständigen Daten gibt, werden wir sie aus vielen unterschiedlichen Quellen mühsam zusammensammeln müssen. Außerdem müssen wir, um die Abhängigkeiten von Österreich zu kennen, diese Netzwerke von Anfang an auf europäischer und in Wahrheit globaler Ebene denken.
In nächster Instanz wollen wir verstehen, wie sie sich verändern, wie anfällig sie für Schocks sind und wie wir sie so gestalten können, dass sie sicherer und nachhaltiger werden, ohne dabei Effizienz einbüßen zu müssen.
In nächster Instanz wollen wir verstehen, wie sie sich verändern, wie anfällig sie für Schocks sind und wie wir sie so gestalten können, dass sie sicherer und nachhaltiger werden, ohne dabei Effizienz einbüßen zu müssen.
Wie kam es zur Gründung des ASCII?
Peter Klimek: Während der Pandemie rückte das Thema Versorgungssicherheit immer stärker in den Fokus, sodass entsprechende Krisenstäbe des Ministeriums eingerichtet wurden, in denen unter anderem auch der Complexity Science Hub vertreten war. Schnell haben wir dort gemeinsam festgestellt, dass die „Intelligence“ – im Sinne einer übergreifenden Aufklärungskompetenz – in Österreich fehlt, um frühzeitig drohende Engpässe erkennen zu können. Auf Basis dieser Erfahrungen entstanden einzelne Projekte und schließlich die Idee eines Institutes, das alle notwendigen Kompetenzen in sich vereint.
Wie sieht die Vision für das ASCII aus?
Peter Klimek: Meine Vision ist, dass wir ein weltweit führendes Forschungsinstitut werden, das sich mit lieferkettenbezogenen Fragestellungen datenbezogen auseinandersetzt und dadurch Nutzen für die Bevölkerung entsteht.
Neben der evidenzbasierten Politikberatung wollen wir aber auch im Bereich der Wirtschaft ein Ansprechpartner für Unternehmen sein. Im Bereich der Forschung möchten wir die fehlende Datenlandschaft ergänzen und für die internationale Forschungsgemeinschaft aufbauen, weil natürlich viele Kolleg:innen vor dem gleichen Problem stehen. Durch die Gründung des ASCII haben wir die Gelegenheit eine internationale Vorreiterrolle einzunehmen. Diese möchten wir in den nächsten fünf Jahren durch wissenschaftlich exzellente Arbeit ausfüllen.
Neben der evidenzbasierten Politikberatung wollen wir aber auch im Bereich der Wirtschaft ein Ansprechpartner für Unternehmen sein. Im Bereich der Forschung möchten wir die fehlende Datenlandschaft ergänzen und für die internationale Forschungsgemeinschaft aufbauen, weil natürlich viele Kolleg:innen vor dem gleichen Problem stehen. Durch die Gründung des ASCII haben wir die Gelegenheit eine internationale Vorreiterrolle einzunehmen. Diese möchten wir in den nächsten fünf Jahren durch wissenschaftlich exzellente Arbeit ausfüllen.