Eine Studie des Complexity Science Hub zeigt, dass ärmere Länder anfälliger für Unterbrechungen in der Lieferkette sind als wohlhabendere Staaten.
[Wien, 24.04.2024] Anhand von Daten auf Unternehmensebene quantifizierten Forschende des Complexity Science Hub (CSH) wie gefährdet einzelne Länder dafür sind, Produktionsverluste zu erleiden, die durch Ausfälle von Unternehmen in anderen Ländern verursacht werden. Ihren Ergebnissen zufolge sind wohlhabendere Länder nur den Unterbrechungen der Lieferkette durch andere Hochlohnländer ausgesetzt, während ärmere Länder von Schocks aus allen Ländern betroffen sind.
"Unsere Daten stammen von der Plattform Capital IQ von Standard & Poor's, die Informationen über die meisten der größten und wichtigsten Unternehmen der Welt enthält. Rund 230.000 Unternehmen in 206 Ländern sind in diesem Datensatz vertreten, wodurch wir ein gutes Bild des globalen Liefernetzwerks erhalten können", erklärt CSH-Wissenschafter Tobias Reisch.
"Zudem werden Daten zu fast einer Million Unternehmensbeziehungen erfasst, welche die Waren- und Dienstleistungsströme zwischen den Ländern detailliert beschreiben", ergänzt Reisch, einer der Hauptautoren der in Nature Communications veröffentlichten Studie.
SIMULATION ÖKONOMISCHER SCHOCKS
Die Forschenden wollten wissen, was bei einer Unterbrechung der Versorgungskette passieren würde – sei es ein Problem der Verkehrsinfrastruktur, wie der Einsturz der Baltimore Bridge, oder eine Naturkatastrophe, wie das Erdbeben in Taiwan. Dazu simulierten sie sogenannte wirtschaftliche Schocks in den Liefernetzen, also Ausfälle im Waren- und Dienstleistungsverkehr, und beobachteten, wie sich diese innerhalb des Liefernetzwerks ausbreiten.
"Indem wir untersuchten, wie sich der Betriebsausfall eines Unternehmens über das globale Versorgungsnetz ausbreiten würde, stellten wir fest, dass Länder mit höheren Einkommen erhebliche Risiken über ihre Region hinaus verursachen und somit systemische Risiken exportieren", erklärt Stefan Thurner, leitender Autor der Studie und Präsident des CSH. „Im Gegensatz dazu sind Länder mit niedrigeren Einkommen überproportional stark von hohen Risiken betroffen."
NICHT WIE ERWARTET
"Ursprünglich dachten wir, dass die wirtschaftlichen Schocks eher wohlhabendere Länder treffen würden, da sie stärker in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind. Dies war jedoch nicht der Fall. Vielmehr erleben sie weniger wirtschaftliche Schocks, verursachen gleichzeitig selbst aber mehr Schocks", betont Reisch. „Tatsächlich gefährden wohlhabenderer Länder dadurch andere Länder stärker, als sie selbst gefährdet sind."
Die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass die Risikoexposition im Liefernetzwerk eine starke regionale Komponente aufweist. Die Unternehmen eines Landes sind am anfälligsten für Schocks innerhalb der eigenen Grenzen. "Dies ist ein Hinweis auf die typischerweise starke Einbettung der Unternehmen in ihre lokalen oder nationalen Lieferketten. Das Gleiche gilt auch über Ländergrenzen hinaus: So sind zum Beispiel afrikanische Unternehmen enger mit anderen in Afrika ansässigen Unternehmen verbunden, und europäische Unternehmen haben engere Beziehungen innerhalb der europäischen Grenzen", erklärt Reisch.
Die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass die Risikoexposition im Liefernetzwerk eine starke regionale Komponente aufweist. Die Unternehmen eines Landes sind am anfälligsten für Schocks innerhalb der eigenen Grenzen. "Dies ist ein Hinweis auf die typischerweise starke Einbettung der Unternehmen in ihre lokalen oder nationalen Lieferketten. Das Gleiche gilt auch über Ländergrenzen hinaus: So sind zum Beispiel afrikanische Unternehmen enger mit anderen in Afrika ansässigen Unternehmen verbunden, und europäische Unternehmen haben engere Beziehungen innerhalb der europäischen Grenzen", erklärt Reisch.
STRUKTURELLE UNGLEICHHEIT
Insgesamt deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass es eine erhebliche Ungleichheit gibt, wie stark einzelne Länder von Lieferausfällen betroffen sind. "Da die ungleiche Risikoexposition aus der Struktur des globalen Liefernetzwerks auf Unternehmensebene resultiert, ist es wichtig, die Prozesse zu verstehen, die es Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern ermöglichen, Produktions- und Handelsbeziehungen einzugehen, und auch, wie dies möglich ist, ohne dass ärmere Länder einem höheren Risiko ausgesetzt sind", so die Forschenden.
"Eine mögliche Strategie, um Lieferketten resilienter, fairer und nachhaltiger zu gestalten, könnte die Einführung einer 'systemischen Risikosteuer' für internationale Liefernetzwerke sein. Hier könnte man sich an den Ideen orientieren, die bereits entwickelt wurden, um die Finanzmärkte widerstandsfähiger zu machen. Die Situation bei Lieferketten ist jedoch komplizierter, und es bedarf weiterer Unter-suchungen, um zu ermitteln, wie ein solches Steuersystem im Detail aussehen könnte", so Thurner.
Die Autor:innen der Studie empfehlen deshalb dringend eine globale Initiative zur Sammlung und zum Monitoring detaillierter Wirtschaftsdaten, die weit über jene hinausgehen, die derzeit verfügbar sind. Nur mit besseren Daten werden Forscher:innen und politische Entscheidungsträger:innen in der Lage sein, Risiken in der Lieferkette erkennen, global verfolgen, und einer Ausbreitung von Störungen vorbeugen zu können.
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Studie "Inequality in economic shock exposures across the global firm-level supply network" von A.Chakraborty, T. Reisch, C. Diem, P. Astudillo-Estévez, and S. Thurner wurde kürzlich in Nature Communications veröffentlicht (doi: 10.1038/s41467-024-46126-w).
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2015, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU, Central European University (CEU), Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
csh.ac.at
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