Von Altägypten über die hinduistischen Königreiche Indiens bis zu den indigenen Kulturen Amerikas: 'Seshat History of Moralizing Religion' beleuchtet, wie sich religiöse Systeme entwickelten – und was sie über die Menschheit verraten.
[Wien, 22.07.2025] Das Buch Seshat History of Moralizing Religion erkundet, wie Gesellschaften auf der ganzen Welt einige der ältesten Fragen der Menschheit beantwortet haben: Was erwarten die Götter von uns? Werden wir nach dem Tod gerichtet? Welchen Zweck erfüllen Religion und Rituale?
Alle großen Religionen von heute stellen zwischenmenschliche Moral ins Zentrum – was durch die Vorstellung übernatürlicher Belohnung und Bestrafung verstärkt wird. Dieser Glaube, dass Götter oder kosmische Kräfte gutes Verhalten belohnen und Fehlverhalten bestrafen, findet sich in den abrahamitischen Religionen ebenso wie in den asiatischen karmischen Traditionen. Während im Judentum, Christentum und Islam ein allmächtiger Gott das Verhalten der Menschen beobachtet und beurteilt, stehen etwa im Buddhismus und Hinduismus die Konsequenzen eigener Handlungen im Mittelpunkt – sei es in diesem oder in einem zukünftigen Leben.
Alle großen Religionen von heute stellen zwischenmenschliche Moral ins Zentrum – was durch die Vorstellung übernatürlicher Belohnung und Bestrafung verstärkt wird. Dieser Glaube, dass Götter oder kosmische Kräfte gutes Verhalten belohnen und Fehlverhalten bestrafen, findet sich in den abrahamitischen Religionen ebenso wie in den asiatischen karmischen Traditionen. Während im Judentum, Christentum und Islam ein allmächtiger Gott das Verhalten der Menschen beobachtet und beurteilt, stehen etwa im Buddhismus und Hinduismus die Konsequenzen eigener Handlungen im Mittelpunkt – sei es in diesem oder in einem zukünftigen Leben.
Allerdings wurde diese moralisierende übernatürliche Belohnung und Bestrafung in nicht-abrahamitischen Religionen bislang kaum untersucht – insbesondere in Bezug auf ihre historische Entwicklung und ihre Rolle in menschlichen Gesellschaften, darauf weisen die Herausgeber:innen des Buchs hin, das Ende Juli bei Beresta Books erscheint.
„Dieses Buch ist ein groß angelegtes, vergleichendes Projekt, das Belege für religiösen Wandel in einer Vielzahl von Gesellschaften von der Jungsteinzeit (auch Neolithikum; begann ca. 10 000 v.Chr.) bis heute im historischen Kontext zusammenträgt – und damit einen neuen Zugang zum Verständnis von Religion eröffnet“, sagt Jenny Reddish vom Complexity Science Hub (CSH), die das Buch gemeinsam mit Peter Turchin und Jennifer Larson herausgibt.
WELTWEITER UND DETAILLIERTER BLICK
„Was dieses Buch besonders macht, ist sein globaler Anspruch“, sagt Turchin. „Die eigentliche Überraschung lag in den Details – darin, wie verschiedene Gesellschaften ganz unterschiedliche und eigene Vorstellungen von moralisierender übernatürlicher Bestrafung und Belohnung entwickelten. Vom ägyptischen Konzept der ma’at bis zu indo-europäischen Traditionen, hawaiianischen Staatsgöttern und dem aztekischen Jenseits für gefallene Krieger – diese Vielfalt ist faszinierend. Selbst Systeme wie das Karma, in denen keine Götter vorkommen, hinterfragen, wie wir über Moral und das Übernatürliche denken“, erklärt Turchin, der die Forschungsgruppe Social Complexity & Collapse am CSH leitet.
Das Buch basiert auf mehr als einem Jahrzehnt der Forschung zu menschlichen Gesellschaften seit dem Neolithikum, die in der Seshat: Global History Databank zusammengetragen wurde, und inkludiert zudem Beiträge führender Archäolog:innen, Historiker:innen und Anthropolog:innen. Mit über 30 Weltregionen bietet das Buch eine breite und dennoch nuancierte Darstellung der religiösen Evolution und ihrer Implikationen für das Verständnis sozialer und moralischer Entwicklung.
FRÜHE VORREITER
„Ägypten sticht als früher Vorreiter in der Entwicklung moralisierender Religionen hervor“, sagt Reddish, die auch leitende Herausgeberin der Seshat-Datenbank ist. „Bereits in der Zeit des Alten Reichs (ca. 2575–2150 v. Chr.) begannen Inschriften etwa auf Gräbern göttliche Belohnung und Bestrafung – im Zusammenhang mit ma’at, dem Prinzip der kosmischen Gerechtigkeit und Harmonie – zu erwähnen“, erklärt Reddish.
„Zur Zeit des Neuen Reichs (ca. 1540–1070 v. Chr.) hatte sich in Ägypten ein ausgefeiltes Glaubenssystem über das Gericht im Jenseits und das Schicksal der Seele entwickelt. In anderen Teilen Eurasiens tauchten vergleichbare religiöse Konzepte erst viel später auf – in der sogenannten Achsenzeit (ca. 800–200 v. Chr.).“
EIDE UND VERTRÄGE
Generell sei es auffallend, wie oft Schwüre und Verträge, die von Göttern überwacht werden, in den Berichten über die religiöse Entwicklung in verschiedenen Gesellschaften erwähnt werden, so Reddish. Dies gelte sowohl für moralisierende Religionen als auch für solche, in denen moralisierende übernatürliche Bestrafung und Belohnung nicht im Mittelpunkt stünden, wie etwa in vielen indoeuropäischen Polytheismen, etwa den nordischen, griechischen und indo-iranischen.
„Wir verwenden Eide heute noch – aber sie sind nur ein schwacher Nachhall ihrer umfassenden Rolle im öffentlichen Leben des antiken Griechenlands: im Handel, im Gerichtswesen, in der Politik und im Sport“, ergänzt Larson, Professorin an der Kent State University. „Es zeigt, wie ursprünglich eigennützige Götter für die Durchsetzung der zwischenmenschlichen Moral ‚eingespannt‘ werden konnten.“
GEBETE UND BUßE
Mehrere Kapitel widmen sich auch der Frage, wie die Konzepte moralisierender Belohnung und Bestrafung in doktrinären Religionen wie Buddhismus, Hinduismus, Manichäismus und Islam ausgeprägt waren. Diese Abschnitte verdeutlichen die innere Vielfalt und den Wandel dieser Traditionen über die Zeit hinweg.
Tamás Biró von der Eötvös Loránd Universität (Ungarn) stellt etwa fest, dass das Konzept von Bestrafung und Belohnung nach dem Tod im rabbinischen Judentum nach 70 n. Chr. größere Bedeutung erlangte als in früheren Perioden.
Die Kapitel zeigen zudem, dass göttliche Bestrafung nicht das einzige Mittel moralisierender Religionen war, um ethisches Verhalten zu fördern, Anhänger:innen zu gewinnen und religiöse Traditionen zu etablieren. Gemeinsame Rituale und institutionelle Strukturen waren ebenso bedeutsam – etwa jährliche Märtyrerfeste im Manichäismus, tägliche Gebete im Islam oder die Verehrung von Bodhisattvas im Mahayana-Buddhismus.
IM FALL DER AMERIKAS
Der Archäologe R. Alan Covey untersuchte kolonialzeitliche Berichte über indigene Religionen Amerikas – und stellte fest, dass diese oft voreingenommen waren, um den Übertritt zum Christentum zu erleichtern.
Im Buch kommt Covey zu dem Schluss, dass der Glaube an moralisierende Götter und übernatürliche Bestrafung in den vorchristlichen Gesellschaften Amerikas wahrscheinlich überbewertet wurde.
„Beschreibungen komplexer Gesellschaften aus der ‚Kontaktzeit‘ deuten darauf hin, dass [der Glaube an moralisierende, übernatürliche Bestrafung und Belohnung] nicht vorhanden oder nicht gut entwickelt war, was nahelegt, dass sich ein solcher Glaube nicht mit der soziopolitischen Komplexität in den Amerikas vor dem Kontakt entwickelt hat“, schreibt Covey von der University of Texas in Austin.
KOMPLEXE GESELLSCHAFTEN UND MORALISIERENDE GÖTTER
„Wir wollten das Konzept von moralisierender übernatürlicher Belohnung und Bestrafung kulturübergreifend untersuchen, weil man annimmt, dass es eine wichtige Rolle beim Wachstum komplexer Gesellschaften gespielt hat“, sagt Reddish.
Wie in Büchern wie Big Gods von Ara Norenzayan oder God Is Watching You von Dominic Johnson diskutiert, gibt es die Idee, dass der Glaube an übernatürliche Kräfte, die gutes Verhalten belohnen und schlechtes bestrafen, Menschen dabei geholfen haben könnte, zu kooperieren und stabile Gemeinschaften aufzubauen. „Unser Ziel war es, besser zu verstehen, was kulturelle Evolution über die Zeit hinweg antreibt – mit einer Kombination aus Expert:innenwissen und Datenanalyse“, so Reddish.
„Wir haben festgestellt, dass der Glaube an strafende, allwissende Götter oder Mächte das anfängliche Entstehen sozialer Komplexität in der tiefen Vorgeschichte nicht erklären kann. Aber als sich im letzten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung vollständig moralisierende Religionen entwickelt hatten, zeigten sie bemerkenswerte Beständigkeit und Dynamik und spielten eine Schlüsselrolle bei imperialer Expansion und Staatsbildung.“
Das Buch baut auf früheren Arbeiten von Peter Turchin und seinem Team auf – darunter eine Studie, die zeigt, dass moralisierende Götter häufig erst nach der Entstehung großer, komplexer Gesellschaften auftraten – nicht davor.
Service
ÜBER DAS BUCH
Titel: Seshat History of Moralizing Religion
Herausgeber:innen: Jennifer Larson, Jenny Reddish & Peter Turchin
Verlag: Beresta Books
Erscheinung: Juli 2025
Format: Taschenbuch / E-Book
ISBNs:
Band 1 – Historical and Comparative Perspectives:
978-1-967343-00-3 / 978-1-967343-01-0 (Juli 2025)
Band 2 – World Survey:
978-1-967343-02-7 / 978-1-967343-03-4 (August 2025)
Band 1 – Historical and Comparative Perspectives:
978-1-967343-00-3 / 978-1-967343-01-0 (Juli 2025)
Band 2 – World Survey:
978-1-967343-02-7 / 978-1-967343-03-4 (August 2025)
ÜBER DAS SESHAT-PROJEKT
Die Seshat: Global History Databank ist ein interdisziplinäres Projekt, das Daten über Struktur, Religion und Kultur vergangener Gesellschaften sammelt und analysiert, um wissenschaftliche Hypothesen zur Menschheitsgeschichte zu testen. Gegründet wurde es 2011 von Peter Turchin, Harvey Whitehouse und Pieter François. Es vereint historisches Wissen aus hunderten Gesellschaften weltweit – über einen Zeitraum von 10.000 Jahren.
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at
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