[Wien, 06.03.2025] Stadtautobahnen sollen Menschen schneller ans Ziel bringen – und sie zueinander führen. Doch gleichzeitig reduzieren sie soziale Verbindungen zwischen Menschen innerhalb der Stadt, insbesondere bei Distanzen unter 5 km – das zeigt eine Studie unter Beteiligung des Complexity Science Hub, die in PNAS veröffentlicht wurde.
„In dieser Studie nutzen wir die räumlichen sozialen Beziehungen von Menschen innerhalb der 50 größten Städte in den USA, um zu überprüfen, ob die gebaute Umwelt – in diesem Fall Stadtautobahnen – tatsächlich eine Barriere für soziale Beziehungen darstellt, wie es in der Urbanistik seit Langem angenommen wird. Wir stellen erstmals auch quantitativ fest, dass dies der Fall ist“, erklärt Sándor Juhász der an dieser Studie arbeitete, als er am Complexity Science Hub tätig war und mittlerweile an der Corvinus Universität forscht.
Dieser Barriereeffekt durch Stadtautobahnen ist in allen untersuchten US-Städten bei kurzen Distanzen von unter 5 km besonders stark. Erst bei rund 20 km kehrt er sich um – ab dieser Distanz helfen Stadtautobahnen eher dabei, Orte innerhalb einer Stadt zu verbinden, so die Studie. „Konkret bedeutet das: wenn zwei Personen auf unterschiedlichen Seiten einer Stadtautobahn wohnen, ist es weniger wahrscheinlich, dass ein sozialer Kontakt zwischen ihnen besteht“, sagt Juhász.
Dieser Barriereeffekt durch Stadtautobahnen ist in allen untersuchten US-Städten bei kurzen Distanzen von unter 5 km besonders stark. Erst bei rund 20 km kehrt er sich um – ab dieser Distanz helfen Stadtautobahnen eher dabei, Orte innerhalb einer Stadt zu verbinden, so die Studie. „Konkret bedeutet das: wenn zwei Personen auf unterschiedlichen Seiten einer Stadtautobahn wohnen, ist es weniger wahrscheinlich, dass ein sozialer Kontakt zwischen ihnen besteht“, sagt Juhász.
„Städtische Autobahnen, insbesondere jene, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in den USA errichtet wurden, waren ganz auf den Autoverkehr ausgerichtet“, erklärt Anastassia Vybornova von der IT-Universität Kopenhagen. Sie sollten den Arbeitsweg verkürzen und das Reisen innerhalb der Stadt erleichtern. „Doch das hat besonders auf kurzen Distanzen seinen Preis. Wenn jemand eine mehrspurige Autobahn überqueren möchte, erfordert das große Mühe. Autobahnen verbinden also auf langen Strecken, trennen aber auf kurzen“, fügt Juhász hinzu.
EFFEKTE ERSTMALS QUANTIFIZIERT
Eine Besonderheit dieser Studie ist, dass die Forschenden diese Barriereeffekte erstmals nicht nur qualitativ beschreiben, sondern auch quantifizieren.
Dazu kombinierte das Team unter Leitung der IT-Universität Kopenhagen geografische Daten mit Standortinformationen aus Online-Sozialnetzwerken.
Auf eine Stadtkarte mit Straßen, Flüssen und anderen geografischen Merkmalen legten die Forschenden so gewissermaßen eine zweite Schicht: ein soziales Netzwerk aus einer Million X-Nutzer:innen (früher: Twitter) aus dem Jahr 2013. Die Knoten dieses Netzwerks repräsentieren die geschätzten Wohnorte der Menschen, während die Verbindungen ihre Freundschaften auf X innerhalb der Stadt abbilden.
„Dass die Freundschaften auf X echte Freundschaften widerspiegeln, ist natürlich eine stark verallgemeinernde Annahme“, erklärt Juhász. „Es ist extrem schwierig, soziale Verbindungen auf dieser Detailstufe zu kartieren. Derzeit gibt es keine umfassenden Datensätze für solche Analysen – die meisten, etwa öffentliche Facebook-Daten, sind nur auf Postleitzahlenebene aggregiert. Doch um den Einfluss von Autobahnen zu untersuchen, braucht es viel feinere Daten. Es ist interessant zu sehen, dass der Barriereeffekt von Stadtautobahnen bereits in diesem Datensatz feststellbar ist.”
CLEVELAND MIT GRÖßTEM BARRIEREEFFEKT
Am höchsten ist der durchschnittliche Barriereeffekt durch Stadtautobahnen in Cleveland, einer Stadt mit besonders hoher Segregation, so die Ergebnisse der Studie.
„In den USA gibt es eine lange Tradition des Autobahnbaus durch dicht besiedelte Gebiete, was zu Segregation und zum Rückgang der lokalen Möglichkeiten geführt hat“, erklärt Juhász. „Oft entschieden Stadtplaner:innen früher, Autobahnen so zu bauen, dass sie große, homogene Nachbarschaften durchtrennen oder unterschiedliche Bevölkerungsgruppen – meist Schwarze und weiße Communities – physisch voneinander trennen“. Das bekannteste Beispiel ist wohl Detroit mit der 8 Mile Road. Juhász weiter: „Unsere Messungen zeigen deutlich, dass dort noch heute weniger soziale Kontakte bestehen, als es ohne die Autobahn der Fall wäre.“
In den USA gab es bereits große Programme wie die „Reconnecting Communities“-Initiative, die Millionen von Dollar investierte, um städtische Infrastruktur sozial gerechter zu gestalten. „Das Problem wurde also erkannt, und es gab aktive politische Maßnahmen mit steigenden Budgets. Doch noch wichtiger: Dieses Programm – wie viele andere – wurde vor wenigen Wochen von der neuen US-Regierung gestoppt“, so Juhász. Umso wichtiger schätze er Studien wie diese ein, die zeigen, dass städtische Autobahnen einen erheblichen Einfluss auf die soziale Konnektivität haben.
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Studie "Urban highways are barriers to social ties“ von L.M. Aiello, A. Vybornova S. Juhász, M. Szell, and E. Bokányi wurde in PNAS veröffentlicht (doi: 10.1073/pnas.2408937122).
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at
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