Eine Analyse von Cyberattacken zeigt, dass die direkt gestohlenen Gelder nur rund ein Viertel des Gesamtschadens ausmachen. Der weitaus größere Verlust entsteht durch nachfolgende Kursrückgänge.
[Wien, 27.11.2025] Berichte über Cyberattacken in der Krypto-Welt konzentrieren sich häufig auf das unmittelbar gestohlene Geld. Eine neue Studie von Forschenden des Complexity Science Hub (CSH) zeigt nun, dass die indirekten Folgen – etwa Kursverluste oder sinkendes Vertrauen – die finanziellen Auswirkungen solcher Angriffe vervielfachen können, was vor allem die Anleger:innen betrifft.
ÜBER EINE MILLIARDE VERLUSTE
„Wir haben 22 größere Cyberattacken im Kryptobereich zwischen 2020 und 2022 untersucht. Bei 12 davon kam es anschließend zu Kurseinbrüchen der jeweils betroffenen Token. Während der direkte Schaden in diesen Dutzend Fällen rund 454 Millionen US-Dollar betrug, beliefen sich die indirekten Verluste durch Wertverluste der Token jedoch auf 1,3 Milliarden US-Dollar“, erklärt Studienautor Stefan Kitzler vom CSH. Im Durchschnitt verloren die betroffenen Token nach einem Angriff 14 Prozent ihres Werts. Darüber hinaus stieg in rund 68 Prozent der Fälle gleichzeitig das Handelsvolumen, „da viele Investierende aktiv handelten – entweder rasch verkauften, um Verluste zu begrenzen, oder aber kauften, weil sie eine Chance für zukünftige Profite witterten“, so Kitzler.
„Die Reaktionen auf Cyberattacken im DeFi-Bereich ähneln somit jenen klassischer Finanzmärkte auf Skandale und Sicherheitsvorfälle – allerdings sehen wir einerseits im Schnitt größere Einbrüche, aber andererseits auch kontraintuitive Kursanstiege“, so Bernhard Haslhofer, der die Forschungsgruppe Digital Currency Ecosystems am CSH leitet.
Die Forschenden analysierten die Kursentwicklung jeweils 24 Stunden vor und 48 Stunden nach einer Attacke. Dabei verglichen sie die Wertentwicklungen auch mit denen anderer Token, die sich zuvor ähnlich entwickelt hatten, um sicherzustellen, dass die beobachteten Kursänderungen tatsächlich auf die Cyberattacke zurückzuführen waren und keine allgemeinen Markttrends widerspiegelten.

Kursentwicklung im Zeitfenster der Cyberattacke: Die Forschenden berechnen die Preisveränderung von Governance-Tokens einer Organisation im Vergleich zu ähnlichen Assets in Sechs-Stunden-Intervallen.
KEINE NISCHE MEHR
Dezentrale Finanzsysteme, kurz DeFi (Decentralized Finance) genannt, ermöglichen Finanzgeschäfte mit Kryptowährungen direkt im Internet – ganz ohne Banken, Broker oder zentrale Institutionen. Grundlage ist die Blockchain, ein öffentliches digitales Register, das alle Transaktionen transparent dokumentiert.
Dieser Markt der dezentralen Finanzdienstleistungen – etwa Kryptowährungen kaufen, tauschen oder leihen – erfreut sich stark wachsender Beliebtheit. „In Österreich etwa gehen Schätzungen davon aus, dass mindestens 300.000 Menschen in Krypto investiert haben. Es ist also längst keine Nische mehr“, so Haslhofer. Gleichzeitig wird dieses System zunehmend Ziel von kriminellen Angriffen – etwa durch technische Schwachstellen, Betrug oder Manipulationen.
PENDANT AUS DER „ECHTEN“ FINANZWELT
Die Studie konzentriert sich auf das Ethereum-Netzwerk, die derzeit wichtigste Blockchain für DeFi-Anwendungen. Untersucht wurden ausschließlich Angriffe auf Dezentrale Autonome Organisationen (DAOs) – digitale Gemeinschaften, in denen Investierende mithilfe sogenannter Governance-Token über wichtige Entscheidungen abstimmen – ähnlich wie Aktionär:innen in einem Unternehmen.
„Gerade weil DAOs in ihrer Struktur klassischen Organisationen der realen Wirtschaft ähneln, wählten wir sie gezielt aus“, erklärt Kitzler. „Wir wollten verstehen, ob die Folgen eines Angriffs auf diese digitalen Organisationen ähnlich sind wie in traditionellen Finanzsystemen“, ergänzt Haslhofer.
Trotz der technischen Dezentralisierung reagieren Märkte und Investierende auf negative Ereignisse auf ähnliche Weise. „Unsere Analysen zeigen, dass die indirekten Schäden durch Vertrauensverlust im Markt oft größer ausfallen als die gestohlenen Mittel selbst“, betont Kitzler. „Das verdeutlicht, dass die Risiken für DeFi-Investierende systemisch sind: Ein Angriff trifft nicht nur die direkt betroffenen Organisationen, sondern das gesamte Ökosystem und letztlich deren Anleger:innen.“
DeFi-Projekte können somit nicht isoliert betrachtet werden. Für Investierende, Entwickler:innen und Regulierende bedeutet dies, dass Sicherheit, Marktstabilität und Vertrauen untrennbar miteinander verbunden sind und gleichermaßen geschützt werden müssen, so die Forschenden.
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Studie "The Economic Impact of DeFi Crime Events on Decentralized Autonomous Organizations (DAOs)" von S.Kitzler, M.Paquet-Clouston und B.Haslhofer wurde in The Journal of Finance and Data Science veröffentlicht (doi: 10.1016/j.jfds.2025.100171).
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschungkomplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin,Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr2016, forschen heute über 80 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsendenNotwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrundeliegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methodenentwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zufinden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central EuropeanUniversity (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische UniversitätWien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU(Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at
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