Eine neue Studie zeigt, dass vor allem die Isolation von Städten – nicht ihre Größe – politische Gewalt in afrikanischen Städten begünstigt.
Städte werden oft als Brennpunkte der Gewalt betrachtet, mit der Annahme, dass größere Städte gewalttätiger sind als kleinere. Dieses "universelle Gesetz" der urbanen Skalierung hat lange das wissenschaftliche Denken geprägt. Eine neue Studie unter Leitung von Rafael Prieto-Curiel, Wissenschafter am Complexity Science Hub (CSH), in Zusammenarbeit mit der Universität Exeter, stellt diese Annahme infrage. Die in Nature Communications veröffentlichte Forschungsarbeit weist darauf hin, dass der Grad an Isolation einer Stadt eine zentrale Rolle spielt.
„Unsere Analyse zeigt, dass die 10% bevölkerungsreichsten Städte Afrikas – insgesamt 216 Städte – zwar 66% der Bevölkerung, aber nur 33% der Todesopfer politisch motivierter Gewalt in den vergangenen 22 Jahren ausmachen“, erklärt Prieto-Curiel. „Das macht deutlich, dass sich das Ausmaß urbaner Gewalt nicht allein durch die Größe erklären lässt.“
WENN ISOLATION GEWALT BEGÜNSTIGT
Aus Mexiko stammend, erinnerte sich Prieto-Curiel an die Stadt Aguililla, eine Kartell-Hochburg, die mit dem Rest des Landes nur durch eine einzige Autobahn verbunden ist. „Es ist für Kartelle relativ einfach zu wissen, wann sich jemand – etwa von der Polizei – nähert“, erklärt er. Dies brachte ihn auf die Idee, systematisch zu untersuchen, ob es also einen Zusammenhang zwischen der Isolation einer Stadt – definiert als die Anzahl der Autobahnverbindungen zu anderen Städten – und dem Ausmaß politischer Gewalt gibt.
Mithilfe von OpenStreetMap-Daten konstruierte Prieto-Curiel ein Netzwerk aller Autobahnen Afrikas. Es zeigte sich, dass Städte mit nur einer oder zwei Verbindungen fast siebenmal so viel Gewalt gegen Zivilist:innen pro 100.000 Einwohner erlebten als Städte mit sieben oder mehr Autobahnen.

Beim Vergleich der 10% isoliertesten Städte mit den 10% am wenigsten isolierten fanden die Forschenden heraus, dass erstere ebenfalls mehr als siebenmal so viel Gewalt gegen Zivilisten erlebten. Darüber hinaus zeigte ein Blick auf die obersten 25% der isoliertesten und am wenigsten isolierten Städte von 2000 bis 2020, dass sich die Kluft im Laufe der Zeit vergrößert hat. In isolierten Städten stieg die Gewalt in den letzten Jahren an.
ISOLATION INNERHALB DER ISOLATION
Um ihre Analyse zu verfeinern, führten Prieto-Curiel und sein Kollege Ronaldo Menezes von der Universität Exeter ein zweites Maß für Isolation ein: die Stadtzentralität. Diese erfasst nicht nur, wie viele Autobahnen zu einer Stadt führen, sondern auch, wie gut sie innerhalb des breiteren Städtenetzwerks vernetzt ist.
Prieto-Curiel erklärt: "Stellen Sie sich eine kleinere Stadt neben einer großen, gut vernetzten Stadt vor – wie London, Kairo oder Jakarta zum Beispiel. Auch wenn die kleinere Stadt nur eine einzige Autobahn hat, können Menschen trotzdem alle Autobahnen und Einrichtungen der größeren Stadt, wie Krankenhäuser, schnell und einfach erreichen."
Aber wenn eine "isolierte" Stadt von anderen ebenso isolierten Städten mit nur einer oder zwei Autobahnen umgeben ist, ist die Situation ganz anders. Um dies zu erfassen, bauten die Forschenden ein Modell, das die kürzeste Route für Bewohner:innen jeder Stadt in Afrika zu jeder anderen Stadt auf dem Kontinent ermittelte und Millionen solcher Reisen simulierte. Anschließend berechneten sie, wie viele all dieser Reisen jeweils durch eine bestimmte Stadt führten.
"Wenn kaum jemand durch eine Stadt reist, dann ist sie sehr isoliert", erklärt Prieto-Curiel. Wieder zeigten die Ergebnisse ein ähnliches Bild – zum Beispiel waren in Städten, die zu den niedrigsten 25% bei der Stadtzentralität gehörten, die Sterblichkeitsraten 15-mal höher als in den 25% mit der höchsten Stadtzentralität.
„Wir brauchten einen neuen Ansatz, um zu verstehen, warum kleinere, abgelegenere afrikanische Städte unverhältnismäßig häufig von politischer Gewalt betroffen sind. Mein Hintergrund in Netzwerkwissenschaft und Kriminalitätsanalyse sowie meine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Polizeikräften in Brasilien und Großbritannien halfen dabei, den Zusammenhang zwischen städtischer Isolation und Gewaltintensität in afrikanischen Städten zu kartieren“, sagt Menezes. „Wir haben eine Methodik entwickelt, die die Isolation von Städten anhand von Autobahnverbindungen und Reisemustern misst. Dabei hat sich gezeigt, dass isolierte Städte eine viermal höhere Opferrate aufweisen als gut vernetzte städtische Zentren. Unsere Forschung hat wichtige Erkenntnisse für mögliche Maßnahmen wie gezielte Sicherheits- und Infrastrukturplanung geliefert.“
DATEN ZUR POLITISCHEN GEWALT
Um Gewalt zu untersuchen, stützten sich die Forschenden auf Daten von ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project), wo Medienberichte über bewaffnete Konflikte weltweit gesammelt werden. Für diese Studie analysierten sie fast 300.000 politisch motivierte Gewaltdelikte in Afrika zwischen 2000 und 2023, die mit fast 600.000 Opfern in Verbindung stehen. Diese wurden kategorisiert als Kämpfe (25%), Gewalt gegen Zivilist:innen (25%; wo eine organisierte bewaffnete Gruppe bewusst Gewalt gegen unbewaffnete Nichtkombattanten ausübt), Proteste (24%), Aufstände (11%), Explosionen (8%) und strategische Entwicklungen (7%).
Zwar sei die Datengrundlage nicht perfekt, betont Prieto-Curiel, „aber es ist es so nah an einer umfassenden Kartierung von Konflikten in Afrika daran, wie es derzeit möglich ist". Er merkt auch an, dass Gewalt in kleinen, abgelegenen Städten wahrscheinlich medial weniger aufgegriffen wird und daher tendenziell eher unterberichtet ist, was bedeutet, dass die Unterschiede möglicherweise noch größer sein könnten als beobachtet.
STADT IST NICHT GLEICH STADT
Die Forschung unterstreicht die Wichtigkeit, über universelle Gesetze hinauszugehen, wenn man Städte studiert. "Wir müssen uns sehr bewusst sein, wie heterogen die Welt ist. Wir können Städte nicht als universelles Phänomen betrachten, das mit festen physikalischen Gesetzen erklärt werden kann", sagt Prieto-Curiel.
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Studie "Violence, City Size and Geographical Isolation in African Cities" von Rafael Prieto-Curiel und Ronaldo Menezes wurde kürzlich in Nature Communications veröffentlicht (doi: 10.1038/s41467-025-65728-6).
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at


