Die Stahlindustrie verursacht etwa 7% der weltweiten CO2-Emissionen hält damit einen bedeutenden Hebel zur Bewältigung der Klimakrise in Händen. Für eine grünere Stahlproduktion wird wesentlich mehr Schrott benötigt, doch dieser könnte im internationalen Wettbewerb zu einem knappen Gut werden, wie eine Vorstudie des Complexity Science Hub (CSH) und des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) zeigt.
[Wien, 20.06.2024] In Übereinstimmung mit den EU-Klimazielen sollen bis 2050 EU-weit 80 bis 95% der CO2-Emissionen in der Stahlproduktion eingespart werden. „Eine wichtige Maßnahme zur Erreichung dieser Vorgaben ist die Umstellung auf eine grünere Technologie bei der Stahlherstellung“, erklärt CSH-Wissenschafter und ASCII-Direktor Peter Klimek. „Länder mit einer starken Stahlindustrie – wie Österreich, wo die Stahlproduktion für 16% der CO2-Emissionen verantwortlich ist – betrifft das ganz besonders.“
Ein Schlüsselelement bei der Umstellung ist der Ersatz konventioneller, kohlenstoffintensiverer Sauerstoffeinblasöfen durch strombetriebene, elektrische Lichtbogenöfen. In diesen kann Schrott zur Herstellung von Stahl verwendet werden. So wird Abfall zur Ressource.
WETTBEWERB UM SCHROTT
Die Ausschöpfung dieses Potentials ist jedoch eng mit den Schrotthandelsströmen des jeweiligen Landes und dem Bestand an entsprechenden Handelsunternehmen verbunden. „Eine grünere Stahlproduktion wird davon abhängig sein, wie viel Schrott am Markt verfügbar ist und ob die notwendige Infrastruktur für den Transport vorhanden ist“, erklärt Klimek.
„Erste Ergebnisse unserer Forschung deuten darauf hin, dass Schrott ein limitierender Faktor in Europa werden könnte,“ so der Forscher. Das Team von Wissenschafter:innen des CSH und des ASCII haben dazu Handelsdaten aus 15 Jahren (2007 – 2021) zusammen mit Informationen zu mehr als 5.000 Unternehmen im Metallschrotthandel analysiert. Ihr Fazit: Um die Stahlproduktion zukunftsfähig zu machen und den Nachschub abzusichern, brauche es eine tiefgreifende Umstrukturierung des globalen und europäischen Schrotthandels sowie eine erhebliche Anpassung der zugrundeliegenden Unternehmenslandschaft.
CHINA: EINEN SCHRITT VORAUS
Um 1.000 Tonnen Stahl zu produzieren, müsse mit einem jährlichen Anstieg der Schrotteinfuhren um 550 Tonnen und einem Rückgang der jährlichen Ausfuhren um 1.000 Tonnen geplant werden. So gehen die Wissenschafter:innen davon aus, dass Schrott in Zukunft zu einer strategischen Ressource wird, was mit einer massiven Umstrukturierung der Lieferketten einhergehen wird.
Ein Umstand, der im weltweit größten Stahlproduzenten – China – bereits spürbar ist. In den letzten Jahren haben sich die Schrotthandelsströme dort weitestgehend vom Weltmarkt entkoppelt. „Zur gleichen Zeit setzen viele Länder in Europa derzeit auf Schrottexport und laufen dadurch Gefahr, sich von einem wertvollen Rohstoff für ihre eigene Industrie zu trennen“, erklärt Klimek.
Durch jedes zusätzliche Schrottunternehmen könnten in der EU etwa 79.000 Tonnen Stahl mithilfe von Elektrolichtbogenöfen produziert werden, so die Ergebnisse der Forschenden. „Wenn wir diesen Wert weiterdenken, könnten einige hundert neue Unternehmen erforderlich sein, die unseren Berechnungen zufolge wiederum rund 35.000 Arbeitnehmer:innen beschäftigen könnten“, so CSH-Präsident Stefan Thurner.
Evolution of the global scrap metal trade network. Directed links show trade flows with a proportional thickness. Node sizes are proportional to the combined imports and exports.
GEMEINSAMES PROJEKT MIT DER VOESTALPINE
Um die Umsetzbarkeit einer “grünen” Stahlproduktion in Österreich zu ergründen, ist nun ein gemeinsames Projekt zwischen dem Complexity Science Hub und dem ASCII mit der voestalpine geplant. Dabei sollen sowohl die Marktdynamik, inklusive der Schrottverfügbarkeit, als auch mögliche logistische Herausforderungen untersucht werden.
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Vorstudie "Circular transformation of the European steel industry renders scrap metal a strategic resource" von P. Klimek, M. Hess, M. Gerschberger und S. Thurner steht online zum Download bereit.
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
csh.ac.at
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
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ÜBER DAS SUPPLY CHAIN INTELLIGENCE INSTITUTE AUSTRIA
Das Forschungsinstitut ASCII widmet sich der Erstellung von Analysen zur besseren Bewältigung zukünftiger Herausforderungen im Zusammenhang mit Wertschöpfungsnetzwerken, strategischen Abhängigkeiten und der Sicherstellung von Produktions- und Versorgungssicherheit. Ziel ist es, Entscheidungsträger: innen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft eine solide Basis für die Erreichung der österreichischen und europäischen Ziele einer sicheren Wertschöpfung und Umweltneutralität zu liefern. ASCII wurde als gemeinnütziger Verein vom Complexity Science Hub (CSH), Logistikum der Fachhochschule Oberösterreich, Verein Netzwerk Logistik (VNL) und dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) gegründet und wird vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft und dem Land Oberösterreich gefördert.