Wie Komplexitätsforschung hilft, Täter:innen zu finden. Dazu arbeitet CSH-Forscher Bernhard Haslhofer mit den Bayrischen Strafverfolgungsbehörden zusammen. Auf der heutigen Pressekonferenz wurden erste Ergebnisse vorgestellt.
[Wien, 31.01.2025] Es beginnt mit einem harmlosen Flirt in sozialen Medien oder auf Dating-Portalen und endet in einer Erpressung. Bei „Sextortion“ handelt es sich um die sexuelle Erpressung im Internet, bei der Betroffene – vor allem junge Männer – mit Nacktfotos oder intimen Videos unter Druck werden.
Eine Studie des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik in Deutschland zählte Sextortion 2023 zu den Top 3 der Bedrohungen im Internet. In Österreich meldete die Helpline „Rat auf Draht“ von 2022 auf 2023 einen Anstieg der Anrufe zu diesem Thema um 30 %. Das FBI beschreibt Sextortion als eine „eskalierende Bedrohung“ und verzeichnete einen „enormen Anstieg der Fälle, die Kinder und Jugendliche betreffen.“
WER STECKT DAHINTER? WIE GEHEN DIE TÄTER:INNEN VOR?
Auf der heutigen Pressekonferenz gewährten Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, der stellvertretende Leiter der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) und Leitende Oberstaatsanwalt Thomas Goger sowie Bernhard Haslhofer, der die Forschungsgruppe Digital Currency Ecosystems am Complexity Science Hub (CSH) leitet, tiefe Einblicke und stellten erste Ergebnisse vor.
Junge Menschen beginnen einen zunächst harmlos wirkenden Flirt in sozialen Medien oder auf Dating-Portalen. Dann werden sie beispielsweise mit Videoanrufen auf verschiedenen Instant-Messaging-Diensten von vermeintlichen Frauen schnell dazu animiert, sich zu entblößen und sexuelle Handlungen auszuführen. Diese Interaktionen werden heimlich aufgezeichnet. Plötzlich fordern die Täter:innen Geld und drohen, das kompromittierende Material viral gehen zu lassen oder es an Familie und Freund:innen zu schicken. „Dabei bauen sie massiven Druck auf und zählen häufig einen Countdown herunter, um den Stressfaktor noch weiter zu erhöhen. Geschädigte sind einem massiven psychischen Druck ausgesetzt," erklärt Eisenreich.
Hinter diesen Machenschaften stecken häufig organisierte kriminelle Gruppen, die länderübergreifend operieren. Laut ZCB stammen viele Täter:innen aus westafrikanischen Ländern wie Nigeria und Côte d’Ivoire oder aus Südostasien. Da einige Erpressungszahlungen in Kryptowährungen wie Bitcoin erfolgen, um Transaktionen zu verschleiern, arbeitet der CSH mit der bayerischen Justiz zusammen, um den Geldfluss zu verfolgen.
DEM GELD AUF DER SPUR: EINE FORENSISCHE HERANGEHENSWEISE
Mit dem von CSH-Experten Bernhard Haslhofer und seinem Team entwickelten Analysetool GraphSense werden umfangreiche Analysen von Kryptowährungstransaktionen im Zusammenhang mit Sextortion-Spam durchgeführt.
„Wir beobachten auch eine rapide Zunahme von Anzeigen im Zusammenhang mit 'Sextortion', bei denen die Täter:innen nur behaupten, im Besitz intimer Bilder oder Videos zu sein. Diese Behauptungen sind jedoch oft falsch,“ sagt Haslhofer. „Da die Täter:innen meist Bitcoin-Zahlungen fordern, können wir die Zahlungsströme analysieren und dabei interessante Muster erkennen – etwa, dass Millionen von E-Mails und Tausende von Fällen auf nur wenige Täter:innengruppen zurückzuführen sind.“
„Wir beobachten auch eine rapide Zunahme von Anzeigen im Zusammenhang mit 'Sextortion', bei denen die Täter:innen nur behaupten, im Besitz intimer Bilder oder Videos zu sein. Diese Behauptungen sind jedoch oft falsch,“ sagt Haslhofer. „Da die Täter:innen meist Bitcoin-Zahlungen fordern, können wir die Zahlungsströme analysieren und dabei interessante Muster erkennen – etwa, dass Millionen von E-Mails und Tausende von Fällen auf nur wenige Täter:innengruppen zurückzuführen sind.“
Gemeinsam mit seinem Team untersuchte er fast 4,5 Millionen solcher Sextortion-Spam-E-Mails und konnte sie auf nur 96 verschiedene Kampagnen und 12.533 Bitcoin-Adressen zurückführen. Von Januar 2021 bis Juli 2023 wurden in Bayern 1.793 Fälle von Sextortion registriert. „Fast 97 % dieser Fälle konnten zusammengeführt und in 81 Cluster unterteilt werden,“ erklärt er.
Der Weg des Geldes kann zu den Täter:innen führen, und Transaktionsanalysen liefern wertvolleEinblicke. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) hat Sextortion eine neue Eskalationsstufeerreicht. Die Täter:innen behaupten beispielsweise, mit Hilfe von KI Nacktfotos von Personen erstelltzu haben, und argumentieren, dass auch wenn diese nicht echt seien, Follower:innen oder die Familiedes Opfers diese dennoch für echt halten würden. Sollten Sie selbst in eine solche Situation gelangenoder jemanden kennen, dann finden Sie hier im Folgenden einige Punkte, die Ihnen helfen können.„Die hohe Fallzahl und das Datenvolumen überfordern herkömmliche forensische Methoden, weshalbneue digitale Ansätze essenziell sind, um die Strafverfolgungsbehörden bestmöglich zu unterstützen,“schließt Haslhofer.
So können Sie sich schützen:
‚Sextortion‘ ist ein ernstes Verbrechen, aber es gibt Schritte, die Sie unternehmen können, um sich zu schützen und den Schaden zu minimieren. So gehen Sie vor:
- 1. Brechen Sie den Kontakt ab: Beenden Sie sofort jegliche Kommunikation mit den Täter:innen. Antworten Sie nicht auf weitere Nachrichten oder Drohungen.
- 2. Zahlen Sie unter keinen Umständen: Die Zahlung garantiert nicht, dass das Material nicht veröffentlicht wird, und könnte weitere Forderungen nach sich ziehen.
- 3. Richten Sie einen Google Alert ein: Erstellen Sie einen Google Alert mit Ihrem Namen, um zu überwachen, ob Fotos oder Videos von Ihnen online hochgeladen werden.
- 4. Überprüfen Sie Ihre Konten: Stellen Sie sicher, dass keines Ihrer Konten kompromittiert wurde. Ändern Sie die Passwörter aller Konten, insbesondere jener mit sensiblen Informationen.
- 5. Bewahren Sie alle Beweise auf: Speichern Sie alle Kommunikationen, einschließlich Nachrichten, E-Mails, Screenshots von Chats, Transaktionsdetails und Bilder oder Videos, die von den Täter:innen gesendet wurden. Diese Beweise können für Ermittlungen entscheidend sein.
- 6. Melden Sie den Vorfall der Polizei: Erstatten Sie Anzeige bei der Polizei. Anzeigen sind entscheidend, um der Polizei zu helfen, diese Verbrechen zu verfolgen und zu stoppen.
- 7. Folgen Sie Sicherheitsrichtlinien online: Weitere Informationen und Hilfsangebote finden Sie etwa auf der Website des Österreichischen Bundesministeriums für Inneres, das Nationale Zentrum für Cybersicherheit des Vereinigten Königreichs oder die Sextortion-Informationsseite des FBI.
Service
Die Pressekonferenz mit Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, dem stellvertretenden Leiter der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) und Leitenden Oberstaatsanwalt Thomas Goger sowie Bernhard Haslhofer, der die Forschungsgruppe „Digital Currency Ecosystems“ am Complexity Science Hub (CSH) leitet, fand am 31. Januar 2025 im Münchner Justizpalast statt.
Über den Complexity Science Hub
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at
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