Nicht durch Gerichte und nicht durch Gefängnisse. Die einzige Möglichkeit, die Gewalt in Mexiko einzudämmen, besteht darin, die Rekrutierung zu unterbinden. Denn vermehrte Inhaftierungen führen zu mehr Morden und auch mehr Kartellmitgliedern, wie der Forscher Rafael Prieto-Curiel vom Complexity Science Hub und seine Kollegen in einer Studie zeigen, die im renommierten Fachmagazin Science erschienen ist.
Im Jahr 2021 starben in Mexiko etwa 34.000 Menschen durch vorsätzliche Tötungsdelikte – das entspricht fast 27 Opfern pro 100.000 Einwohner:innen. Damit gehört Mexiko zu den am wenigsten friedlichen Ländern weltweit.
FÜNFTGRÖSSTER ARBEITGEBER
Um dieser Gewalt auf möglichst gezielte Weise entgegenzuwirken, haben Forschende nun die Entwicklung der Kartelle anhand von Daten zu Morden, Vermissten und Inhaftierungen in Mexiko zwischen 2012 und 2022 untersucht. Daher kombinierten sie Daten des Nationalen Instituts für Geografie und Statistik in Mexiko (INEGI) zu Tötungsdelikten, des nationalen Registers für vermisste Personen (RNPDNO) und Daten aus der mexikanischen Gefängniszählung.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass mexikanische Kartelle derzeit zwischen 160.000 und 185.000 Mitglieder haben. Dies macht sie zum fünftgrößten Arbeitgeber im Land – mit weitreichenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Und trotz der Bemühungen des Staates, die Macht der Kartelle einzuschränken, beispielsweise durch die jährliche Inhaftierung von fast 6.000 Kartellmitgliedern, haben sie ihre Mitgliederzahl seit 2012 um 60.000 erhöht.
Ihre Ergebnisse zeigen, dass mexikanische Kartelle derzeit zwischen 160.000 und 185.000 Mitglieder haben. Dies macht sie zum fünftgrößten Arbeitgeber im Land – mit weitreichenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Und trotz der Bemühungen des Staates, die Macht der Kartelle einzuschränken, beispielsweise durch die jährliche Inhaftierung von fast 6.000 Kartellmitgliedern, haben sie ihre Mitgliederzahl seit 2012 um 60.000 erhöht.
A | Ca. 285.000 Menschen gehörten zwischen 2012 und 2022 Kartellen an. Nur 60 % von ihnen waren 2022 noch aktiv. Die Kartellkarriere ist kurz und riskant - etwa 17 % sind tot, und 20 % wurden inhaftiert. B | Anzahl der Beschäftigten der 10 größten Unternehmen in Mexiko und die Größe der Kartelle insgesamt. C | Die Größe einzelner mexikanischer Kartelle.
WÖCHENTLICH 350 MITGLIEDER REKRUTIEREN
Gleichzeitig verlieren Kartelle selbst viele ihrer Mitglieder durch Morde. "Die Karrierewege in den Kartellen sind sehr kurz und gewalttätig. In 10 Jahren werden 17 % der von den Kartellen angeworbenen Personen tot sein, und 20 % werden in Gefängnissen sitzen", erklärt Rafael Prieto-Curiel vom Complexity Science Hub.
Um diese Verluste mindestens ausgleichen zu können, müssten pro Woche mindestens 350 neue Mitglieder rekrutiert werden, so der Forscher.
Um diese Verluste mindestens ausgleichen zu können, müssten pro Woche mindestens 350 neue Mitglieder rekrutiert werden, so der Forscher.
MASSIV STEIGENDE GEWALT
Und dennoch hat die Gewalt nicht abgenommen. Im Gegenteil: Zwischen 2012 und 2021 sind die kartellbedingten Todesfälle um 77 % gestiegen. "Wenn Mexiko diesen Weg fortsetzt, wird es bis 2027 40 % mehr Tote geben als heute, und die Kartelle werden 26 % mehr Mitglieder haben", so Prieto-Curiel.
Selbst wenn es gelänge, doppelt so viele Kartellmitglieder strafrechtlich zu verfolgen und doppelt so viele Menschen ins Gefängnis zu bringen, gäbe es im Jahr 2027 immer noch 8 % mehr Todesfälle.
Selbst wenn es gelänge, doppelt so viele Kartellmitglieder strafrechtlich zu verfolgen und doppelt so viele Menschen ins Gefängnis zu bringen, gäbe es im Jahr 2027 immer noch 8 % mehr Todesfälle.
REKRUTIERUNG UNTERBINDEN
Im Vergleich dazu würde eine Halbierung der Rekrutierung durch Kartelle die wöchentlichen Opferzahlen um 25 % und die Größe der Kartelle bis 2027 um 11 % reduzieren. "Mathematisch gesehen ist eine präventive Strategie also wesentlich erfolgreicher als eine traditionelle reaktive Strategie", betont Prieto-Curiel.
Allerdings sind die Kartelle derzeit so groß, dass selbst, wenn es gelänge, die Rekrutierung völlig zu stoppen, es drei Jahre dauern würde, bis das – bereits hohe – Gewaltniveau von 2012 wieder erreicht wäre. Deshalb sind rasche und umfassende Maßnahmen erforderlich.
Allerdings sind die Kartelle derzeit so groß, dass selbst, wenn es gelänge, die Rekrutierung völlig zu stoppen, es drei Jahre dauern würde, bis das – bereits hohe – Gewaltniveau von 2012 wieder erreicht wäre. Deshalb sind rasche und umfassende Maßnahmen erforderlich.
Wöchentliche kartellbedingte Todesfälle und Kartellgröße sowie Szenarien, wie sich beides entwickeln könnte.
ERSTER WISSENSCHAFTLICHER VORSTOß
Trotz der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedeutung der mexikanischen Kartelle fehlten bisher wesentliche Informationen über ihre Größe und über die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen, die ihre Macht einschränken sollen.
"Soweit wir wissen, stellt diese Arbeit den ersten wissenschaftlichen Versuch dar, die Größe der Kartelle in Mexiko mathematisch zu quantifizieren und politische Strategien zur Verringerung der Gewalt im Land zu vergleichen. Wir hoffen daher, einen wichtigen Beitrag zu einer friedlicheren Zukunft Mexikos zu leisten", so Prieto-Curiel.
"Soweit wir wissen, stellt diese Arbeit den ersten wissenschaftlichen Versuch dar, die Größe der Kartelle in Mexiko mathematisch zu quantifizieren und politische Strategien zur Verringerung der Gewalt im Land zu vergleichen. Wir hoffen daher, einen wichtigen Beitrag zu einer friedlicheren Zukunft Mexikos zu leisten", so Prieto-Curiel.
ZUR STUDIE
Die Studie “Reducing cartel recruitment is the only way to lower violence in Mexico” von Rafael Prieto-Curiel, Gian Maria Campedelli and Alejandro Hope wurde kürzlich in Science veröffentlicht.
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (kurz: CSH Vienna) wurde mit dem Ziel gegründet, Big Data zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. Der CSH Vienna bereitet unter anderem große Datensätze systematisch und strategisch so auf, dass Auswirkungen von Entscheidungen in komplexen Situationen vorab getestet und systematisch bewertet werden können. Damit liefert der Complexity Science Hub die Grundlagen für eine evidenzbasierte Politik. https://www.csh.ac.at