Was macht eine Wohnung attraktiv, wenn der Weg ins Büro wegfällt? Eine neue Studie unter Beteiligung des Complexity Science Hub (CSH) zeigt: Seit Beginn der Pandemie sind Homeoffice-taugliche Wohnungen in Wien deutlich stärker nachgefragt – mit langfristigen Folgen für Stadtentwicklung und Wohnungsbau.
[Wien, 04.07.2025] Um zu identifizieren, wie sich die Bedeutung verschiedener Wohnmerkmale im Zuge der Pandemie verändert hat, analysierte das Forschungsteam rund um Fabian Braesemann, dem neuesten Mitglied der CSH Associate Faculty, mehr als 120.000 Online-Inserate von Mietwohnungen auf der Plattform „Willhaben“ von 2018 und 2022. Die Studie wurde kürzlich in PLOS One veröffentlicht.
ZENTRALE ERKENNTNISSE
–– Unterschiedliche Entwicklung in den verschiedenen Bezirken:
Im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie stiegen die Mieten stärker in den Außenbezirken, in denen es tendenziell mehr Wohnungen mit Außenbereichen (Terrasse, Balkon) gibt.
–– Nachholeffekt in den vor der Pandemie niedrigpreisigeren Außenbezirken:
Die Mieten steigen in den Innenstadtbezirken (1. bis 9. Gemeindebezirk) im Schnitt um knapp unter 10 %, während sie in den Außenbezirken (10. bis 12. und 14. bis 17. Bezirk sowie 20. bis 23. Bezirk) um über 15 % stiegen. Mit anderen Worten: In diesen Außenbezirken stiegen die Mieten um 50 % mehr als in den Innenstadtlagen. Am größten war die Preissteigerung in den Bezirken 10, 11, 15, 20, 21 und 23. In den bereits hochpreisigeren Bezirken 13, 18 und 19 fiel die Steigerung geringer aus.
Fazit: Die bis zur Pandemie vergleichsweise niedrigpreisigeren und weniger attraktiven Außenlagen wurden dann mehr nachgefragt.

Links: Entwicklung der durchschnittlichen Monatsmieten in Wien im Zeitverlauf: Zwischen 2018 und 2021/22 stiegen die Mieten in Wien im Durchschnitt um rund 9 %, wobei es zwischen den Bezirken erhebliche Schwankungen gibt. | Rechts: Am stärksten stiegen die Mieten in den äußeren Bezirken der Stadt.
–– Höhere Bedeutung von Wohnungsmerkmalen, die mit Homeoffice in Verbindung stehen:
Treiber hoher Mieten aus der Vor-Pandemie-Zeit (Innenstadtlage, Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr) haben relativ an Bedeutung verloren, während solche Merkmale für Mieter:innen wichtiger geworden sind, die mit der Möglichkeit von Homeoffice in Verbindung stehen (mehr Zimmer, Außenbereiche wie Terrassen oder Balkons, mehrere Badezimmer). Auch Stellplätze und andere Merkmale, die private Mobilität ermöglichen, sind wichtiger geworden.
–– Konsequenzen für die Stadtplanung:
Aus dem sich ändernden Wohnverhalten ergeben sich langfristige Konsequenzen für die Stadtplanung in Wien. In der neuen hybriden Arbeitswelt benötigen Mieter:innen, die zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit auch zuhause verbringen, adäquaten Wohnraum, der die Möglichkeit fürs Homeoffice bietet. Um der weiteren Gentrifizierung und Segregation in der Stadt entgegenzuwirken, müssen auch Gemeindebauwohnungen im Sinne moderner Arbeitsbedürfnisse umgerüstet werden.

„Unsere Studie zeigt, dass die Analyse großer Daten von Online-Plattformen es möglich macht, relevante Markt-Trends und den Einfluss von externen Schocks wie einer Pandemie auch in sich normalerweise langsam entwickelnden Systemen wie dem Wohnungsmarkt in Echtzeit zu beobachten und frühzeitig Trends zu erkennen“, betont Braesemann, der auch als Dozent an der Universität Oxford tätig ist, die Relevanz solcher Analysen.
DER WOHNUNGSMARKT ALS KOMPLEXES SYSTEM
Die Ergebnisse der Studie heben zudem die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Forschung zu komplexen Systemen hervor, wie sie der Complexity Science Hub betreibt. „Mietpreise entstehen dynamisch aus dem Zusammenspiel zahlreicher Akteur:innen und Faktoren – von individuellen Entscheidungen der Mieter:innen und Vermieter:innen über lokale Wohnungsangebote und -nachfragen bis hin zu komplexen Netzwerken zwischen Institutionen, Infrastruktur, rechtlichen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen Entwicklungen”, erklärt Stefan Thurner, Präsident des Complexity Science Hub. „Wenn wir mit Hilfe von Algorithmen sich verändernde Wohnpräferenzen aus Mietpreisdaten extrahieren können, so können wir Stadtplanung anders denken – weg von reaktiven Maßnahmen hin zu einem aktiven Management des Wohnungsmarkts als komplexes System”, fügt Braesemann hinzu.
DIE STADT AKTIV ANPASSEN
Die Implikationen der veränderten Nachfrage nach Wohnungen beschränken sich nicht nur auf den Wohnungsmarkt selbst, sondern gehen darüber hinaus: Wenn mehr Menschen von zuhause arbeiten, statt in die Innenstadt zu pendeln, verlieren Geschäfte mögliche Kund:innen – was etwa zu einer Aushöhlung innerstädtischer Einkaufsstraßen beitragen kann. „Um dies zu verhindern, sollten Angebote geschaffen werden, die Bürger:innen in die Innenstadt locken – unabhängig vom täglichen Weg zur Arbeit“, so Braesemann.
Ebenso relevant sind Auswirkungen auf die urbane Mobilität. „Da mehr Menschen von klassischen Pendelrouten abweichen, sollte die Stadt Möglichkeiten schaffen, auch in Außenbezirken Angebote für nachhaltige Mobilität, Einkäufe und Erholung zu schaffen“, sagt Braesemann weiter. „Die Analyse digitaler Daten liefert somit nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern sie hilft auch, relevante Handlungshinweise zu geben – zur Entwicklung einer nachhaltigen und inklusiven urbanen Zukunft für die gesamte Stadtgesellschaft.“
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Studie "How have urban housing preferences developed in response to the COVID-19 pandemic? A case study of Vienna" von F. Braesemann, J. Kluge und H. Lorenz wurde in PLOS One veröffentlicht (doi: 10.1371/journal.pone.0322629).
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at