Diversität steigert den Wohlstand in Städten. Aber wo treffen sich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen? Eine Studie des Complexity Science Hub zeigt nun, dass Orte, die eine Vielfalt an seltenen Angeboten und Dienstleistungen bieten, der Schlüssel sein können.
Zahlreiche Studien belegen, dass erfolgreiche Städte ein gemeinsames Merkmal haben: Diversität. Wenn die Interaktion zwischen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund gefördert wird, begünstigt das den Austausch von Ideen, was zu Innovation und wirtschaftlichem Erfolg führt. "Dennoch gibt es in vielen Städten immer noch eine starke Segregation, und zwar nicht nur hinsichtlich des Wohnorts, sondern auch hinsichtlich der Orte, an denen sich die Menschen aufhalten", erklärt CSH-Forscher Sándor Juhász.
PROAKTIV RÄUME SCHAFFEN
Vor diesem Hintergrund wäre es für Städte von Vorteil, proaktiv Räume zu schaffen, in denen Menschen mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund zusammenkommen können. Juhász betont: "Um dies zu erreichen, müssen wir aber zunächst die Merkmale dieser städtischen Räume verstehen, die Menschen aus unterschiedlichen Schichten anziehen, und begreifen, warum diese Räume eine solche Anziehungskraft ausüben.“
VIELFÄLTIG, ABER NICHT ALLGEGENWÄRTIG
Diese neue Studie steuert einen Teil dazu bei. In Zusammenarbeit mit Kolleg:innen des ANET Lab Budapest zeigt Juhász, dass Standorte in Budapest, die vielfältige, aber nicht überall verfügbare Angebote bieten, Menschen mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund anziehen.
Diese "komplexen" Orte bieten eine Reihe von Geschäften und Dienstleistungen, wie Kinos, Zoos und Cafés, die mitunter nicht überall zu finden sind, wie z. B. ein Zoo. Juhász erklärt: "Wir haben uns von der ökonomischen Komplexitätsforschung inspirieren lassen, die davon ausgeht, dass Volkswirtschaften mit einem diversifizierten Produktportfolio, das zahlreiche nicht allgegenwärtige Produkte umfasst, tendenziell florieren." Diesem Ansatz folgend entwickelten die Forscher Indizes, um die Komplexität von Stadtteilen in Budapest anhand der Verteilung verschiedener POI-Kategorien (Point-of-Interest) auf Google Maps zu ermitteln.
Zusätzlich bewerteten sie auch wie komplex die Angebote selber sind. Dazu berücksichtigten sie wie selten sie vorkommen und wie viele andere POI in der Nähe vorhanden sind. Genau wie bei Stadtteilen ziehen weniger verbreitete Annehmlichkeiten, wie z. B. Zoos, die von verschiedenen anderen Points of Interest (POI) umgeben sind, ein diverseres Publikum an.
Beides hängt stark damit zusammen, wie zentral die jeweilige Nachbarschaft oder Einrichtung gelegen ist. Doch durch das Verständnis der Komplexität von Stadtvierteln und den dortigen Annehmlichkeiten kann ein noch tieferer Einblick gewonnen werden.
MOBILE DATEN VON APPS
Um zu ermitteln, wo sich die Menschen in Budapest aufhalten, nutzten die Forscher:innen GPS-Daten von Mobiltelefonen. Juhász erklärt: "Wenn Sie Smartphone-Apps verwenden, werden Sie möglicherweise gefragt, ob Sie der Erfassung Ihrer Standortdaten zustimmen. Falls Sie dem zustimmen, können die App-Entwickler:innen Informationen über Ihre Mobilität sammeln, einschließlich der Zeit und des genauen Standorts, jedoch ohne persönliche Daten. Diese anonymisierten Daten können von Forscher:innen wie uns genutzt werden, um herauszufinden, wie Städte zu einem besseren Ort für alle werden können."
Das Team verfolgte dann über Monate hinweg alle Orte in Budapest, an denen Menschen kurz verweilten, und berücksichtigte dabei, zu welcher Tageszeit sie dies taten. Während der Nacht halten sich die Menschen am ehesten zu Hause an, und zwischen 9 und 17 Uhr am Arbeitsplatz. "Wir haben uns also auf so genannte 'third places' wie Cafés oder Kinos als potenzielle Orte der Interaktion konzentriert", erklärt Juhász. Außerdem zogen sie die Immobilienpreise im Wohngebiet der Personen als Indikator für deren Wohlstand heran.
INTERAKTION NICHT GARANTIERT, ABER WAHRSCHEINLICHER
Durch die Kombination dieser Informationen konnten die Forschenden die wirtschaftliche Situation einer Person und die von ihr besuchten Orte beurteilen. In Budapest zeichnete sich Városliget, der größte und älteste öffentliche Park der Stadt, als die komplexeste Nachbarschaft aus, mit einem Museum, einem Spa, einem Zoo und anderen besonderen Einrichtungen, die nicht überall verfügbar sind. In Bezug auf die Anwendungskategorien erwies sich der Zoo als der komplexeste Typ.
"Menschen mit unterschiedlichen Beweggründen und Zielen werden von Orten angezogen, die ein vielfältiges Portfolio bieten, das sehr seltene Angebote umfasst. Deshalb glauben wir, dass sich sozioökonomisch unterschiedliche Menschen an diese Logik halten und komplexe Orte aufsuchen werden", so Juhász. Zwar ist die Interaktion an diesen Orten nicht garantiert, aber die Wahrscheinlichkeit ist deutlich höher als in weniger komplexen Stadtteilen oder Einrichtungen.
POLITISCHE ENTSCHEIDUNGSTRÄGER:INNEN UNTERSTÜTZEN
"Folglich ist dieses Wissen für politische Entscheidungsträger:innen von entscheidender Bedeutung, da es sie in die Lage versetzt, potenzielle Segregationsbereiche in ihrer Stadt zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen, um etwas dagegen zu tun", betont Juhász.
ZUR STUDIE
Die Studie “Amenity complexity and urban locations of socio-economic mixing” von Sándor Juhász, Gergő Pintér, Ádám J Kovács, Endre Borza, Gergely Mónus, László Lőrincz and Balázs Lengyel wurde kürzlich in EPJ Data Science (doi: 10.1098/rstb.2022.0402) publiziert.
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (kurz: CSH Vienna) wurde mit dem Ziel gegründet, Big Data zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. Der CSH Vienna bereitet unter anderem große Datensätze systematisch und strategisch so auf, dass Auswirkungen von Entscheidungen in komplexen Situationen vorab getestet und systematisch bewertet werden können. Damit liefert der Complexity Science Hub die Grundlagen für eine evidenzbasierte Politik. https://www.csh.ac.at