Forschende des Complexity Science Hub haben 1,2 Millionen kriminelle Vorfälle untersucht und daraus ein innovatives Verfahren entwickelt, um Muster in kriminellen Laufbahnen zu erkennen.
Wenn es darum geht, zukünftige Straftaten zu verhindern, ist es essenziell, herauszufinden, wie vergangenes kriminelles Verhalten mit künftigen Taten zusammenhängt. Handelt es sich um Straftäter:innen, die sich auf bestimmte Delikte spezialisiert haben oder um Generalist:innen, die verschiedene Arten von Verbrechen begehen?
Obwohl die systematische Erfassung von Mustern in kriminellen Karrieren einen großen Effekt haben könnte – etwa bei der Prävention von Wiederholungtaten, – gibt es derzeit nur wenige umfangreiche empirische Studien dazu.
Obwohl die systematische Erfassung von Mustern in kriminellen Karrieren einen großen Effekt haben könnte – etwa bei der Prävention von Wiederholungtaten, – gibt es derzeit nur wenige umfangreiche empirische Studien dazu.
ÄLTER, EHER WEIBLICH UND REGIONAL AKTIV
„Um diese Lücke zu schließen, haben wir mehr als 1,2 Millionen strafrechtliche Vorfälle untersucht“, erklärt Stefan Thurner vom Complexity Science Hub. Das entspricht allen Strafanzeigen, die in einem kleinen mitteleuropäischen Land über einen Zeitraum von sechs Jahren gegen Einzelpersonen gestellt wurden.
Straftäter:innen, die sich in ihrer kriminellen Karriere auf bestimmte Straftaten spezialisiert haben, sind tendenziell älter und häufiger weiblich als Straftäter:innen, die verschiedene Arten von Straftaten begehen. „Die sogenannten Spezialist:innen operieren außerdem in einem kleineren geografischen Gebiet, was darauf hindeutet, dass sie stärker auf die Kenntnis eines Ortes und vielleicht auch auf die Unterstützung von Personen in einem bestimmten Gebiet angewiesen sind als Straftäter:innen, die sich nicht spezialisieren“, erklärt Thurner eines der Ergebnisse der Studie.
Die Forschenden konnten außerdem feststellen, dass Spezialist:innen in kleineren, engmaschigeren lokalen Netzwerken zusammenarbeiten, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie wiederholt mit denselben Partner:innen operieren.
Die Forschenden konnten außerdem feststellen, dass Spezialist:innen in kleineren, engmaschigeren lokalen Netzwerken zusammenarbeiten, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie wiederholt mit denselben Partner:innen operieren.
DATENBASIERTES CLUSTERING
Bei der Entwicklung dieser Methode, teilten die Forschenden zunächst alle Delikte in 21 Kategorien ein, darunter zum Beispiel Korruption oder Sexualdelikte. „Anschließend haben wir die Straftäter:innen anhand der begangenen Delikte geclustert“, erklärt Georg Heiler vom CSH.
Zu diesem anonymisierten Datensatz fügten die Wissenschafter:innen soziodemografische Informationen wie Alter oder Geschlecht hinzu, sowie Angaben über die Art und Schwere der begangenen Straftaten und die geografische Region, in der sie stattfand. "Das daraus resultierende Clustering ermöglicht eine datengestützte Kategorisierung von Straftaten, in der sich Muster kriminellen Verhaltens erkennen lassen", erklärt Thurner.
Zu diesem anonymisierten Datensatz fügten die Wissenschafter:innen soziodemografische Informationen wie Alter oder Geschlecht hinzu, sowie Angaben über die Art und Schwere der begangenen Straftaten und die geografische Region, in der sie stattfand. "Das daraus resultierende Clustering ermöglicht eine datengestützte Kategorisierung von Straftaten, in der sich Muster kriminellen Verhaltens erkennen lassen", erklärt Thurner.
UNABHÄNGIG VON ART UND HÄUFIGKEIT DER VERBRECHEN
Eine Stärke dieser neuen Methode besteht darin, dass jedes Cluster aus einer unterschiedlichen Anzahl von Verbrechensarten und Straftaten bestehen kann. Die Tatsache, dass einige Straftaten (wie Betrug oder Drogendelikte) deutlich häufiger vorkommen als andere (wie Fälschung oder Datenmissbrauch), beeinflusst die Ergebnisse daher nicht.
Außerdem berücksichtigt die Methode, wie häufig Einzelpersonen bestimmte Arten von Straftaten begehen. Die Forschenden stellten dabei unter anderem fest, dass ein Wechsel aus bestimmten Verbrechensarten signifikant häufiger vorkommt als bei anderen. „Das deutet darauf hin, dass eine Spezialisierung in bestimmten Kategorien wahrscheinlicher ist als in anderen“, so Thurner. Hierzu zählt beispielsweise die Prostitution, Terrorismus oder Umweltkriminalität.
WIEDERHOLUNGSTATEN VERHINDERN
Laut einem Bericht der Statistik Austria lag die Wiederverurteilungsrate im Jahr 2022 bei 30%. Von den 581.000 Straftäter:innen in dieser Studie, machten sich fast ein Viertel mehr als einer Straftat schuldig. Wenn sich diese Wiederholungstäter:innen auf bestimmte Straftaten wie Einbrüche, Drogendelikte oder Hacking spezialisieren, könnte das Wissen darüber den Strafverfolgungsbehörden helfen, kriminelle Entwicklungen besser vorherzusehen. Maßgeschneiderte Maßnahmen in den Bereichen Polizeiarbeit, Prävention und Resozialisierung könnten so eine noch größere Wirkung erzielen.
Die enge Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden und der Wissenschaft hat bereits in früheren Projekten eindrucksvoll gezeigt, wie die Entwicklung neuer, auf wissenschaftlichen Methoden basierender Tools die polizeiliche Arbeit im Hinblick auf den Ressourceneinsatz, die Planung und Durchführung von Maßnahmen sowie die Effizienz, Aussagekraft und Qualität der Ergebnisse unterstützen kann. Dies geschieht selbstverständlich unter Einhaltung aller rechtlichen Standards, insbesondere der nationalen und internationalen Datenschutzstandards.
"Obwohl dieser Datensatz die übliche Einschränkung aufweist, dass er keine Informationen über unentdeckte oder ungelöste Verbrechen enthält, hoffen wir sehr, dass wir mit dieser Methode die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden aus der Wissenschaft heraus unterstützen können", so Thurner.
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ÜBER DIE STUDIE
Das Paper "A large-scale empirical investigation of specialization in criminal career" wurde kürzlich in Scientific Reports veröffentlicht (doi: 10.1038/s41598-023-43552-6).
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ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (kurz: CSH Vienna) wurde mit dem Ziel gegründet, Big Data zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. Der CSH Vienna bereitet unter anderem große Datensätze systematisch und strategisch so auf, dass Auswirkungen von Entscheidungen in komplexen Situationen vorab getestet und systematisch bewertet werden können. Damit liefert der Complexity Science Hub die Grundlagen für eine evidenzbasierte Politik. https://www.csh.ac.at