Der Zusammenbruch von FTX zeigt deutlich, wie wichtig es ist, die Solvenz von Krypto-Währungsbörsen beurteilen zu können. Derzeit ist das nur bedingt möglich. Deshalb schlagen Forschende des Complexity Science Hub (CSH) in Zusammenarbeit mit der Finanzmarktaufsicht (FMA) und der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) nun einen neuen Ansatz vor.
Kürzlich wurde Sam Bankman-Fried, Gründer der Kryptowährungsbörse FTX, von einem Geschworenengericht in New York unter anderem der Geldwäsche und des Betrugs für schuldig gesprochen. FTX zählte zu den größten Handelsplätzen für Kryptoassets und wurde zwischenzeitlich mit 32 Milliarden US-Dollar bewertet, bevor das Unternehmen im November 2022 unerwartet Insolvenz anmeldete. Bankman-Fried soll unter anderem rund 14 Milliarden US-Dollar an FTX-Kund:innengelder zu Alameda Research, einem ebenfalls von ihm gegründeten Investmentfonds, abgezweigt haben.
AUTOMATISIERTE PRÜFVERFAHREN
"Ereignisse wie die FTX-Insolvenz zeigen, dass neue Verfahren zur Bonitätsbewertung und Solvenzanalyse von Kryptowährungsbörsen benötigt werden", erklärt Bernhard Haslhofer vom Complexity Science Hub.
Denn während es bereits etablierte Verfahren für traditionelle Finanzinstitute gibt, wird die Solvenz von Anbieter:innen im Kryptowährungsbereich (sogenannte VASPs, Virtual Asset Service Providers) derzeit ad-hoc und noch kaum systematisch durchgeführt. Dies liegt unter anderem daran, dass Werte in pseudonymen Wallets auf unterschiedlichen Blockchains gehalten und nicht bzw. nur ansatzweise in verfügbaren Berichten, wie zum Beispiel Bilanzen, angeführt werden.
VASPs (Virtual Asset Service Providers) verwalten virtuelle Vermögenswerte, übertragen sie und erleichtern ihren Kauf und Verkauf gegen Fiat-Währungen und andere virtuelle Vermögenswerte. Kund:innen können mit ihnen interagieren, indem sie Kryptoassets über DLT-basierte Transaktionen einzahlen oder abheben, oder Fiat-Währung über kommerzielle Banken © Complexity Science Hub
Transaktionen, die auf Blockchains wie Bitcoin und Ethereum erfolgen, sind jedoch öffentlich einsehbar. "Dies eröffnet potenziell neue Möglichkeiten zur Verbesserung und Automatisierung aktueller Solvenzanalyse- und Bewertungsverfahren", so Haslhofer.
ZWEI ZENTRALE MAßNAHMEN
Zum einen schlagen die Forschenden vor, dass VASPs ihre Kryptoasset-Wallet-Adressen offenlegen und zusätzliche Metadaten zur Verfügung stellen, welche die Nutzung dieser Wallets beschreiben. Auf diese Weise könnten unabhängige Prüfstellen beurteilen, ob ein VASP tatsächlich über die mit seinen On-Chain-Wallets verbundenen Gelder verfügt.
Zum anderen sollten VASPs ihre Bilanzberichte getrennt nach Krypto- und Fiat-Vermögenswerten aufschlüsseln und diese in angemessenen Abständen melden, so die Studie.
DATEN TEILWEISE INKONSISTENT
„Wir haben insgesamt 24 bei der Finanzmarktaufsicht in Österreich registrierte VASPs untersucht", erklärt Pietro Saggese vom Complexity Science Hub. Dabei verglichen die Forschenden drei verschiedene Datenquellen: ihre bekannten Kryptoasset-Wallets, ihre Bilanzdaten aus dem Handelsregister, sowie Informationen von Aufsichtsbehörden.
„Beim Vergleich der bekannten Kryptoasset-Bestände mit den Bilanzdaten stellten wir fest, dass diese nur teilweise konsistent sind", erklärt Haslhofer.
DREI URSACHEN
Den Grund dafür sehen die Forschenden erstens darin, dass nicht alle VASPs ihre Bilanz für Krypto- und Fiat-Vermögenswerte getrennt ausweisen. Es ist daher nicht möglich einzuschätzen, welcher Anteil der Vermögenswerte aus traditionellen Währungen und welcher aus Kryptoassets besteht. Zweitens verwalten VASPs ihre Kryptoasset-Transaktionen auf unterschiedliche Weise. Und drittens sind die Kryptoasset-Bestände der VASPs für Dritte derzeit kaum einsehbar.
„FTX hat deutlich gezeigt, dass Krypto-Unternehmen in die Insolvenz schlittern können und Kund:innen dadurch mitunter enormen Geldsummen verlieren“, betont Haslhofer. "Wir hoffen, dass diese Studie hilft, die Zahlungsfähigkeit von VASPs in Zukunft besser analysieren und bewerten zu können. Auch aus globaler Sicht sind wir hier sicher in einer Vorreiter:innenposition."
ÜBER DIE STUDIE
Das Working Paper "Assessing the Solvency of Virtual Asset Service Providers: Are Current Standards Sufficient?" wurde auf der Website der OeNB veröffentlicht und steht zum Download zur Verfügung.
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (kurz: CSH Vienna) wurde mit dem Ziel gegründet, Big Data zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. Der CSH Vienna bereitet unter anderem große Datensätze systematisch und strategisch so auf, dass Auswirkungen von Entscheidungen in komplexen Situationen vorab getestet und systematisch bewertet werden können. Damit liefert der Complexity Science Hub die Grundlagen für eine evidenzbasierte Politik. https://www.csh.ac.at