Forschende des Complexity Science Hub (CSH) quantifizieren die Bedeutung von sozialen Netzwerken beim Bekanntwerden von Songs und zeigen, dass deren Popularität dadurch präziser vorhergesagt werden kann.
[Wien, 11.06.2024] Wie beeinflussen Freunde gegenseitig ihren Musikgeschmack? Forschende des CSH stellten das in einem Netzwerk dar, um zu prognostizieren, wie populär ein neues Lied in der Zukunft sein wird. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die soziale Komponente bei der Verbreitung von Musik eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt wie die Popularität von Künstler:innen oder der Einfluss des Genres", erklärt Niklas Reisz vom CSH.
In ihr Modell inkludieren die Forschenden zusätzlich zu üblicherweise herangezogenen Informationen, wie dem Bekanntheitsgrad von Interpret:innen oder der Beliebtheit der Musikrichtung, auch Informationen über das soziale Netzwerk von Hörer:innen eines neuen Songs. Dadurch konnten sie die Genauigkeit der Vorhersagen, ob ein Song zu einem Hit wird oder nicht, um fünfzig Prozent – von 14 Prozent auf 21 Prozent – verbessern. Das zeigt die in Scientific Reports veröffentlichte Studie.
MILLIONEN VON DATEN
Das Team von Wissenschafter:innen des CSH analysierte Daten der Musikplattform last.fm, die rund 2,7 Millionen User, 10 Millionen Songs und 300 Millionen Wiedergaben umfassen. Auf der Plattform können User sich befreunden und Lieder liken. Hört ein:e Freund:in einen Song, sehen das andere in ihrem Netzwerk.
„Dadurch erhielten wir anonymisierte Informationen darüber, wer zu welchem Zeitpunkt welchen Song anhört und mit wem diese Person befreundet ist“, erklärt Reisz. So konnte das Team nicht nur berücksichtigen, wer viele Follower hat, sondern auch wessen Follower viele Follower haben und so weiter. Daraus erstellten sie zwei Netzwerke. Das erste Netzwerk zeigt, wer mit wem befreundet ist. Das zweite Netzwerk stellt dar, wer wen wie stark beeinflusst. „Hier sind die Knoten des Netzwerks ebenfalls Personen, doch die Verbindungen entstehen, wenn eine Person einen Song anhört und kurz danach eine andere Person den gleichen Song zum ersten Mal anhört“, so Stefan Thurner vom CSH.
Auf dieser Grundlage untersuchte das Team die ersten 200 Personen, die sich einen neuen Song anhörten, um vorherzusagen, ob dieser Song ein Hit werden wird, also ob er zu den ein Prozent der meistgehörten Songs auf last.fm gehören wird.
Sie fanden heraus, dass die Verbreitung eines Songs im Netzwerk maßgeblich von der Einflussnahme der Nutzer:innen untereinander abhängt. Je ausgeprägter die Fähigkeit einer Person ist, ihre Freunde zu beeinflussen, und je größer ihr Freundeskreis ist – insbesondere, wenn diese Freunde wiederum ebenfalls einen starken Einfluss auf ihre Freunde haben –, desto effektiver und schneller verbreitet sich ein Song im Netzwerk. Informationen über die sozialen Netzwerke und die Dynamik sozialer Einflüsse ermöglichen dadurch deutlich präzisere Prognosen, ob ein Song ein Hit wird oder nicht, so das Ergebnis der Studie.
BEEINFLUSSUNG IN BEIDE RICHTUNGEN
„Unsere Ergebnisse zeigen auch, wie Beeinflussung in beide Richtungen stattfindet – also dass Menschen, die ihre Freunde beeinflussen, gleichzeitig auch von ihren Freunden beeinflusst werden“, erklärt CSH-Forscher Vito D.P. Servedio. „So können innerhalb von kürzester Zeit vielstufige Kaskaden entstehen, bei denen ausgehend von wenigen Personen ein Song ganz schnell viele andere Personen erreicht“, so der Wissenschafter.
SOZIALER ASPEKT
Möglichst präzise vorhersagen zu können, welcher neue Song große Popularität erreichen wird, ist in der Musikindustrie zu einem Standardverfahren geworden und kann einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Zu diesem Zweck wurden beträchtliche Anstrengungen in Vorhersagemodelle investiert. Diese beziehen viele Aspekte mit ein – etwa wie berühmt Künstler:innen bereits sind oder wie lange es dauert, dass ein Song eine bestimmte Anzahl von Male gehört wurde. "Es war für uns besonders interessant zu sehen, dass der soziale Aspekt, die musikalische Homophilie, bisher sehr wenig Beachtung gefunden hat – obwohl Musik schon immer einen starken sozialen Aspekt hatte", so Reisz.
Aus Soziologie und Psychologie ist bekannt, dass Menschen dazu neigen, sich mit Menschen zu umgeben, die ihnen ähnlich sind. Die Wissenschaft bezeichnet dies als Homophilie. „Die musikalische Homophilie, also die Tendenz, dass Menschen, die sozial miteinander verbunden sind, auch einen ähnlichen Musikgeschmack haben, konnten wir in dieser Studie sehr deutlich quantifizieren“, erklärt Thurner. „Das ist insofern bedeutend, da es ein Beispiel dafür ist, dass man mit großen Datensätzen durchaus soziale Beeinflussung zwischen Menschen – also Meinungsbildung – messen kann. Ein wichtiges zukünftiges Anwendungsgebiet wäre hier natürlich die politische Meinungsbildung oder Einstellungen zu Themen wie zum Beispiel dem Klimawandel besser zu verstehen.“
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Studie "Quantifying the impact of homophily and influencer networks on song popularity prediction" von N. Reisz, V. D. P. Servedio und S. Thurner wurde kürzlich in Scientific Reports veröffentlicht (doi: 10.1038/s41598-024-58969-w).
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2015, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU, Central European University (CEU), Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).
csh.ac.at
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