In einem Fünftel dezentraler autonomer Organisationen (DAOs) halten Mitwirkende wie Entwickler:innen oder Administrator:innen ausreichend Tokens, um alleine Entscheidungen zu treffen – so eine Studie des Complexity Science Hub (CSH). Dies wirft Fragen darüber auf, wie demokratisch diese Systeme tatsächlich sind.
[Wien, 29.04.2025] Mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus ist die Kryptowelt erneut in Wallung geraten. Trumps Regierung hat signalisiert, bei der Regulierung von Kryptowährungen eher zurückhaltend zu agieren. Zudem untersagt eine im Januar erlassene Verfügung US-Bundesbehörden die Entwicklung einer digitalen Zentralbankwährung – eines „digitalen Dollars“ –, was private Kryptowährungen und Stablecoins begünstigen dürfte.
In dieser sich wandelnden Wirtschaftslandschaft werden dezentrale autonome Organisationen (DAOs) als Schritt in eine demokratischere finanzielle Zukunft gehandelt, die Fairness, Transparenz und gemeinsame Kontrolle bietet. Wenn es jedoch um die Entscheidungsfindung innerhalb von DAOs geht, ist die Realität möglicherweise deutlich weniger demokratisch, als es scheint.
WER HAT DIE MACHT?
Anders als traditionelle Unternehmen, in denen etwa CEOs Entscheidungen treffen, basieren DAOs auf einem demokratischen Abstimmungsprozess. Jede:r Teilnehmer:in hat die Möglichkeit, über zentrale Fragen abzustimmen – von der Mittelverwendung über die Höhe der Gebühren bis hin zu Software-Adaptierungen. Die Entscheidungsfindung erfolgt über sogenannte Governance-Tokens, digitale Anteile, die Stimmrechte verleihen. Doch wer hält diese Governance-Tokens in der Praxis – und wer übt die Entscheidungsmacht aus?
WENIGE ENTSCHEIDEN ÜBER VIELE
"Im Prinzip kann jede:r Nutzer:in mitbestimmen. Allerdings ist unklar, wer das wirklich ist, da nur pseudonyme Adressen anstelle von Entscheidungsträger:innen stehen", sagt CSH-Forscher Stefan Kitzler.
Gemeinsam mit Kolleg:innen hat er die Beteiligung der Nutzer:innen an Entscheidungsprozessen untersucht und analysiert, wie dezentral diese Organisationen tatsächlich sind. Ihre Studie, veröffentlicht in Financial Cryptography and Data Security, zeigt: Das Versprechen von Transparenz und Demokratie kollidiert häufig mit der Realität konzentrierter Macht. „In der Praxis sind Governance-Tokens oft stark in den Händen von wenigen Mitwirkenden der Organisation konzentriert“, erklärt Kitzler.
Das Team analysierte 35.124 Vorschläge (sogenannte ‚Proposals‘) aus 872 DAOs, an denen 986.557 Stimmberechtigte beteiligt waren. Dabei stellte sich heraus, dass in 7,54 % der DAOs Mitwirkende – wie Entwickler:innen, Administrator:innen oder Projektinhaber:innen – die Mehrheit der Stimmen hielten und Entscheidungen kontrollieren konnten. In etwas mehr als 20 % der DAOs konnten sie mindestens einen Vorschlag im Alleingang beschließen.
EIN REALER FALL
Im Jahr 2022 wurde Tornado Cash, eine bekannte DAO-basierte Anwendung, von der US-Regierung sanktioniert. Die Behörden beschuldigten sie, für Geldwäsche im Zusammenhang mit nordkoreanischen Hacker:innen verwendet worden zu sein. Zwei Entwickler des Projekts wurden später verhaftet. Obwohl DAOs darauf ausgelegt sind, Macht zu verteilen, warf dieser Fall Bedenken auf, ob einige Entscheidungen immer noch von einer kleinen Gruppe von Insidern getroffen werden.
„Tatsächlich fanden wir auch Anzeichen für die Bildung von ‚inneren Machtzirkeln‘ in vielen DAOs“, so Kitzler, „da Mitwirkende oft eine zentrale Rolle im Governance-Ökosystem der DAO einnehmen und überproportionalen Einfluss ausüben.“
„Sogar in großen DAOs, die Millionen von Dollar verwalten, haben wir teilweise Anzeichen für einseitige Kontrolle gesehen“, fügt Bernhard Haslhofer, Leiter der Forschungsgruppe für Digital Currency Ecosystems am CSH, hinzu. „Das war durchaus überraschend.“
VERSCHOBENE TOKENS, VERSCHOBENE MACHT
Die Anonymität der Blockchain-Transaktionen verschleiert die Identifizierung der tatsächlichen Eigentümer:innen der Governance-Token, was Entscheidungsprozesse weniger transparent und potenziell anfälliger für Manipulationen macht.
Zudem stellten die Forschenden fest, dass Governance-Tokens häufig kurz vor wichtigen Abstimmungen den Besitzer oder die Besitzerin wechseln, was auf strategisches Verhalten oder Manipulation in den Entscheidungsprozessen der DAO hinweisen könnte.
Angesichts des erneuten Anstiegs der Popularität von Kryptowährungen und der weltweit aufflammenden Regulierungsdiskussion kommt diese Studie zu einem entscheidenden Zeitpunkt.
„Es gibt einen wachsenden Bedarf zu verstehen, wie diese Systeme tatsächlich funktionieren“, sagt Haslhofer. „Unsere Ergebnisse liefern empirische Erkenntnisse, die dazu beitragen können, zukünftige Regulierungen zu gestalten – damit DAOs ihr ursprüngliches Versprechen einlösen können.“
Service
ÜBER DIE STUDIE
Die Studie "The Governance of Decentralized Autonomous Organizations: A Study of Contributors’ Influence, Networks, and Shifts in Voting Power" von Stefan Kitzler, Stefano Balietti, Pietro Saggese, Bernhard Haslhofer und Markus Strohmaier war Teil der Buchreihe Lecture Notes in Computer Science und der International Conference on Financial Cryptography and Data Security.
ÜBER DEN COMPLEXITY SCIENCE HUB
Der Complexity Science Hub (CSH) ist Europas wissenschaftliches Zentrum zur Erforschung komplexer Systeme. Wir übersetzen Daten aus einer Reihe von Disziplinen – Wirtschaft, Medizin, Ökologie, Sozialwissenschaften – in anwendbare Lösungen für eine bessere Welt. Gegründet im Jahr 2016, forschen heute über 70 Wissenschafter:innen am CSH, getragen von der wachsenden Notwendigkeit für ein fundiertes Verständnis der Zusammenhänge, die unserer Gesellschaft zugrunde liegen – vom Gesundheitswesen bis zu Lieferketten. Mit unseren interdisziplinären Methoden entwickeln wir die Kompetenzen, um Antworten auf heutige und zukünftige Herausforderungen zu finden.
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
csh.ac.at
Mitglieder des CSH sind AIT Austrian Institute of Technology, BOKU University, Central European University (CEU), IT:U Interdisciplinary Transformation University Austria, Medizinische Universität Wien, TU Wien, TU Graz, Universität für Weiterbildung Krems, Vetmeduni Wien, WU (Wirtschaftsuniversität Wien) und Wirtschaftskammer Österreich (WKO).
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